Entscheidung Nr. 3/2003

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Franz Karl E., Empfehlung
Victor E., Empfehlung
Elisabeth G., Empfehlung
Maria H., Empfehlung
Anthony S., Empfehlung
Susan W., Empfehlung
Rosemary W., Empfehlung

Öffentliches Eigentum

Republik Österreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Innere Stadt (01004), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

3/2003

Datum

22.10.2003

Grund

"Extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Verbundene Entscheidung

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 3/2003

Wien, Innere Stadt

Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 22. Oktober 2003 die Rückstellung einer Liegenschaft in der Innenstadt Wiens dem zuständigen Bundesminister empfohlen. Die Gründe für diese Empfehlung lagen in der „extremen Ungerechtigkeit“ des 1957 abgeschlossenen Vergleiches, bei dessen Abschluss sowohl Mieterträgnisse als auch zu Unrecht geleistete Zahlungen der Hälfteigentümerin der Liegenschaft nicht berücksichtigt wurden.

Die für eine Rückstellung beantragte Liegenschaft gehörte seit 1917 je zur Hälfte dem jüdischen Ehepaar Heinrich und Flora S. Der Kaufmann Heinrich S. starb 1936. Nach der NS-Machtübernahme im März 1938 veräußerten Flora S. und der Vertreter der Verlassenschaft nach Heinrich S. am 13. Juni 1938 das Liegenschaftsvermögen an die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung um 250.000,- Reichsmark. Ein Teil des Kaufpreises für die Haushälfte der Flora S. wurde - unrechtmäßig - zur Tilgung von Schulden des Heinrich S. verwendet. Flora S. verstarb 1944 in Wien. Im Jahr 1948 wurde durch die Erben nach Heinrich und Flora S. ein Rückstellungsantrag eingebracht. Die betreffende Innenstadt-Liegenschaft galt als Deutsches Eigentum, weshalb eine Zustimmung des Alliierten Rates zur Durchführung des Verfahrens erforderlich war. Dies führte dazu, dass das Verfahren erst nach dem Staatsvertrag 1955 fortgesetzt und beendet werden konnte. 1957 wurde zwischen der Republik Österreich und den RückstellungswerberInnen ein Vergleich abgeschlossen. Dabei verpflichtete sich die Republik Österreich zur Bezahlung von 618.000,- Schilling, während im Gegenzug die damaligen RückstellungswerberInnen auf die Rückstellung verzichteten.

Für die Schiedsinstanz war die Verfolgung der jüdischen Eigentümer, die nach dem Anschluss Österreichs an den NS-Staat erheblichen Diskriminierungen unterworfen waren, unstrittig. Ebenso war für die Schiedsinstanz ein klarer Zusammenhang zwischen der rassistischen Verfolgung der Eigentümer und dem Liegenschaftsverkauf, welcher über die NS-Vermögensverkehrsstelle abgewickelt wurde, gegeben. Die von der Republik Österreich im seinerzeitigen Rückstellungsverfahren behauptete Überschuldung eines Teils der Liegenschaft war für die Schiedsinstanz kein Grund, an einer Entziehung zu zweifeln. Hinsichtlich des Vergleichs mit der Republik Österreich aus dem Jahr 1957 gelangte die Schiedsinstanz zur Ansicht, dass dieser eine „extreme Ungerechtigkeit“ darstellte. Entscheidend für diese Qualifikation war die aus Dokumenten des Rückstellungsphase ersichtliche Vergleichsgenese.

Ein erster Hinweis auf eine Unzulänglichkeit des Vergleichs ergab sich durch die große Wertdiskrepanz zwischen der Vergleichssumme (618.000,- Schilling) und dem Liegenschaftswert 1957 (mindestens 4,5 Mio Schilling). Für die Schiedsinstanz war nunmehr zu prüfen, ob sich diese Wertdiskrepanz auch unter Annahme eines korrekt durchgeführten Rückstellungsverfahrens hätte ergeben können. Dazu führte die Schiedsinstanz aus, dass bei Berechnung der Vergleichssumme zwei entscheidende Umstände unberücksichtigt blieben: die durch die Vermietung der Liegenschaft erzielten Erträgnisse sowie die zu Ungunsten der Flora S. im Jahr 1938 unrechtmäßig durchgeführte Schuldentilgung aus dem Kaufpreis. Sowohl die seit der Entziehung vereinnahmten Mietzinsen von rund 200.000,- Schilling als auch der Flora S. aufgrund der Schuldentilgung nicht zugeflossene Kaufpreisanteil hätten den Rückstellungswerbern abgegolten werden müssen, wäre das Rückstellungsverfahren in korrekter Anwendung der Gesetzesbestimmungen durchgeführt worden. Unter diesem Gesichtspunkt war der Vergleich als „extrem ungerecht“ einzustufen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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