Entscheidung Nr. 46/2006

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Alice M., Ablehnung
Nona S., Ablehnung
Alice T., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Neulerchenfeld (01403), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

46/2006

Datum

20.02.2006

Grund

Keine "extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

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Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 46/2006

Wien, Ottakring

Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 20. Februar 2006 einen Antrag auf Restitution einer der Stadt Wien gehörenden Liegenschaft in Wien/Ottakring abgelehnt. Die Liegenschaft war bereits Gegenstand eines Rückstellungsverfahrens zwischen Privaten gewesen, das 1953 mit einem Vergleich beendet wurde. Die geschädigten Eigentümer verzichteten gegen Zahlung eines Betrages auf die Rückstellung. Nach dem Entschädigungsfondsgesetz ist die Schiedsinstanz nur in besonderen Ausnahmefällen berechtigt, das damalige Ergebnis zu korrigieren. Ein solcher Ausnahmefall lag nach Ansicht der Schiedsinstanz hier nicht vor.

Die beantragte Liegenschaft, die mit einem einstöckigen Zinshaus bebaut war, befand sich 1938 im Eigentum der Jüdinnen A. L. und M. B. Im November 1938 verkauften sie die Liegenschaft um den Preis von 12.000,- Reichsmark an das Ehepaar W. Die Durchführung der Liegenschaftstransaktion war nur mit Genehmigung der NS-Behörden möglich. M. B. konnte im März 1939 ins Ausland flüchten. A. L. wurde im März 1941 in das Ghetto Modliborzyce deportiert. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts mehr bekannt. A. L. wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges für tot erklärt.

Im Juli 1950 beantragten M. B. und die Erbin nach A. L. die Rückstellung der Liegenschaft. Im März 1953 beendeten die Parteien dieses Verfahren mit einem Vergleich. Die geschädigten Eigentümerinnen verzichteten gegen eine Zahlung von 6.000,- Schilling auf die Rückstellung der Liegenschaft. Das Grundstück blieb somit im Eigentum des Ehepaares W. Die Ehegatten W. verkauften die Liegenschaft nach einer partiellen Sanierung des bombengeschädigten Hauses im Dezember 1958 um 180.000,- Schilling an die Stadt Wien. Die Stadt Wien ließ das Zinshaus Anfang der 60er-Jahre demolieren und errichtete auf der Liegenschaft und den angrenzenden Grundstücken ein Schulgebäude.

Die Schiedsinstanz musste sich im Detail mit dem Rückstellungsverfahren auseinandersetzen, da ein Aufrollen durch Vergleich beendeter Fälle nach dem Entschädigungsfondsgesetz nur in Ausnahmefällen möglich ist. Die Schiedsinstanz hatte insbesondere zu prüfen, ob zwischen den Parteien im Rückstellungsverfahren annähernd „Waffengleichheit“ geherrscht hat. Nach Ansicht der
Schiedsinstanz können ausgeprägte Ungleichgewichtslagen, die den Rückstellungswerbern die Verfolgung ihrer Interessen im Rückstellungsverfahren sehr erschwert haben, zu einer Neubewertung von Rückstellungsvergleichen Anlass geben.

Im konkreten Fall konnten dazu allerdings keine ausreichenden Anhaltspunkte gefunden werden. Die beiden Rückstellungswerberinnen waren anwaltlich vertreten und schlossen auch den Vergleich mit anwaltlicher Unterstützung. Zudem war die Erbin der Mehrheitseigentümerin A. L. in Österreich wohnhaft; auch sonst gab es keine Indizien für einen Informationsvorsprung des Ehepaares W., der zu Zweifeln an der „Waffengleichheit“ zwischen den Parteien Anlass gegeben hätte. Schließlich konnte der eklatante Unterschied zwischen der Vergleichssumme und dem durch das Ehepaar W. ein paar Jahre später erzielten Kaufpreis teilweise durch die nach Abschluss des Rückstellungsverfahrens vorgenommene Sanierung des Hauses erklärt werden. Der zwischen zwei Privaten abgeschlossene Vergleich war somit nicht als extrem ungerecht einzustufen. Daher konnte keine Empfehlung auf Rückgabe der beantragten Liegenschaft ausgesprochen werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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