Entscheidung Nr. 89/2006

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Eduard Shlomo W., Empfehlung
Emil W., Empfehlung

Öffentliches Eigentum

Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Neubau (01010), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

89/2006

Datum

20.03.2006

Gründe

Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
"Extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G
Kein Eigentum 1938-1945

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

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Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 89/2006

Wien, Neubau

Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 20. März 2006 den Rückstellungsanspruch auf die Hälfte einer der Stadt Wien gehörenden Liegenschaft in Wien, Neubau, bejaht. Ein 1954 abgeschlossener Rückstellungsvergleich war nach Ansicht der Schiedsinstanz vor allem aufgrund der Auswirkungen der übermächtigen Position der Stadt Wien bei den Vergleichsverhandlungen als „extrem ungerecht“ anzusehen.

Die beantragte Liegenschaft, auf der ein Zinshaus stand, befand sich 1938 je zur Hälfte im Eigentum von R.G. und des Ehepaares N.W. und J.W. Von den Nationalsozialisten als Juden verfolgt, mussten alle Miteigentümer mit ihren Familien ins Ausland fliehen. Die beiden Söhne der Familie W., die nunmehrigen Antragsteller E.A.W. und E.S.W., konnten sich nach Palästina retten. J.W. und seine Tochter wurden 1942 von Prag nach Theresienstadt deportiert und ermordet, J.W.s Ehefrau N.W. kam auf der Flucht nach Palästina ums Leben. Der Miteigentümer R.G. konnte nach New York fliehen. In Prag hatte das Ehepaar W. 1939 den Rechtsanwalt Dr. F. bevollmächtigt, die Liegenschaft in Wien Neubau zu verkaufen. Der von Dr. F. ausverhandelte Kaufvertrag mit einem privaten Interessenten wurde aber von den NS-Behörden nicht genehmigt, weil die Stadt Wien ein öffentliches Interesse an dem Grundstück geltend machte. Sie wollte auf dieser Fläche einen Straßendurchbruch vornehmen lassen. Die Liegenschaft wurde schließlich 1940 an die Stadt Wien verkauft.

Im Dezember 1948 beantragten E.A.W. und E.S.W. gemeinsam mit R.G. die Rückstellung der Liegenschaft Wien Neubau. Die Stadt Wien war sehr daran interessiert, die Liegenschaft zu behalten, um den schon beim Kauf geplanten Straßendurchbruch zu realisieren, und strebte daher Vergleichsverhandlungen an, die 1954 mit der Unterzeichnung eines Vergleiches endeten. Darin verzichteten die Rückstellungswerber gegen Zahlung von 20.000,- Schilling auf die Rückstellung der Liegenschaft.

Die Schiedsinstanz hatte zu prüfen, ob dieser Vergleich „extrem ungerecht“ iSd § 32 Entschädigungsfondsgesetz war. Sie stellte zunächst fest, dass der Vergleichsbetrag weit unter jenem Wert lag, der den Rückstellungswerbern von der Rückstellungskommission zugesprochen worden wäre. Vor allem wurden keine Erträgnisse berücksichtigt. E.A.W. und E.S.W. hatten zudem beim Abschluss dieses Vergleiches nur einen sehr begrenzten Handlungsspielraum. Aufgrund ihrer prekären finanziellen Situation waren sie massiv in ihren Möglichkeiten beschränkt, jene Form der Rechtsdurchsetzung zu wählen, die ihnen am vorteilhaftesten und zweckmäßigsten erschien. Insbesondere konnten sie nicht den Anwalt ihres Vertrauens wählen.

Auf der anderen Seite nützte die Stadt Wien ihre übermächtige Stellung, um in den Vergleichsverhandlungen vor allem durch die Drohung mit Enteignung und überzogene Ersatzansprüche für Aufwendungen Druck auf die Rückstellungswerber auszuüben. Das Zusammenwirken dieser Umstände bewirkte eine Ungleichgewichtslage zu Lasten der Rückstellungswerber, die kausal für den Abschluss des Vergleiches wurde, der damit als „extrem ungerecht“ einzustufen war. Es wurde daher von der Schiedsinstanz der Anspruch der Erben von N.W. und J.W. als dem Grunde nach zu Recht bestehend angesehen. Da sich auf dieser Liegenschaft heute ein Gemeindebau befindet, sieht die Schiedsinstanz eine Rückstellung als nicht zweckmäßig an und wird nach Konsultationen mit der Stadt Wien einen vergleichbaren Vermögenswert zusprechen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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