Entscheidung Nr. 382/2007

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Danielle C., Ablehnung
Mathilde F., Ablehnung
Chantal F., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Republik Österreich
Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Brigittenau (01620), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

382/2007

Datum

11.12.2007

Grund

Rückstellung nach 1945 bereits erfolgt

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Verbundene Entscheidung

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 382/2007

Wien, Brigittenau
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 11. Dezember 2007 den Antrag auf Restitution einer Liegenschaft in Wien/Brigittenau, die zum Stichtag 17. Jänner 2001 zum Teil im Eigentum der Stadt Wien und zum Teil im Eigentum der Republik Österreich stand, abgelehnt. Die Liegenschaft war bereits 1948 den ehemaligen Eigentümern zurückgestellt worden. Demnach konnte die Schiedsinstanz keine Empfehlung auf erneute Rückgabe der gegenständlichen Liegenschaft aussprechen.

Die ca. 2.000 m² große Liegenschaft in Wien/Brigittenau befand sich im März 1938 im Eigentum des Ehepaars Gedalie und Ida N., die – ebenso wie ihre Kinder Alfred und Mathilde – gemäß den Nürnberger Gesetzen von 1935 als jüdisch galten. Die Familie betrieb auf der Liegenschaft ein Lebensmittelgeschäft, eine Milchtrinkhalle und einen Altmetallhandel. Nach dem „Anschluss“ flüchtete die Familie N. aus Österreich nach Frankreich, wo sie nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht zunächst versteckt leben musste, bis sie verhaftet und in verschiedene Gefängnisse und Lager verschleppt wurde. Alfred N. wurde 1944 im Gefängnis Fort Montluc in Lyon inhaftiert und am 18. August 1944 in Lyon-Bron erschossen. Ida N. wurde im November 1943 ebenfalls in Fort Montluc inhaftiert, ebenso deren Tochter Mathilde F. Auch Gedalie N. war in verschiedenen Lagern in Frankreich in Haft. Er, seine Ehefrau Ida und seine Tochter Mathilde überlebten den Holocaust. Gedalie und Ida N. kehrten nach Kriegsende nach Wien zurück, um ihre inzwischen entzogene Liegenschaft wieder zurückzufordern.

Im August 1942 war das Vermögen von Gedalie und Ida N. aufgrund der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Reich verfallen. Die Verwaltung des verfallenen Vermögens, darunter auch die gegenständliche Liegenschaft, fiel somit dem Oberfinanzpräsidenten Wien zu. Zuvor waren bereits Mieter in den Räumlichkeiten einquartiert worden.

1947 beantragten Gedalie und Ida N. die Rückstellung der Immobilie bei der Finanzlandesdirektion Wien. Mit Bescheid der Finanzlandesdirektion vom 19. Jänner 1948 wurde den geschädigten Eigentümern nach den Bestimmungen des Ersten Rückstellungsgesetzes die Liegenschaft zurückgestellt und ein Saldo von ca. 70,- Schilling an vorhandenen Mieterträgnissen festgestellt. Im Jänner 1951 verkauften Gedalie und Ida N. die Liegenschaft in Brigittenau um 65.000,- Schilling an Franziska B., die sie später an die öffentliche Hand verkaufte. Aufgrund von Grundstücksab- und zuschreibungen stand am 17. Jänner 2001 – dem für das Verfahren  vor der Schiedsinstanz relevanten Stichtag – nur mehr eine Fläche von 216 m² der ehemaligen Liegenschaft im öffentlichen Eigentum.

Die Antragstellerinnen – Kinder und Enkelkinder der ehemaligen EigentümerInnen – stützten die von ihnen vorgebrachte „extreme Ungerechtigkeit“ des seinerzeitigen Rückstellungsverfahrens auf die den damaligen RückstellungswerberInnen entstandenen materiellen Verluste. Nach Ansicht der Antragstellerinnen sei es unter anderem extrem ungerecht gewesen, dass das NS-Regime Mieter einquartiert habe, die weder Miete noch Steuern gezahlt hätten.

Die Schiedsinstanz hatte bereits in vorangegangenen Entscheidungen (317, 318 und 319) verneint, dass sie die neuerliche Rückgabe einer bereits rückgestellten Liegenschaft empfehlen könne. Der Zweck des Entschädigungsfondsgesetzes besteht darin, offene Fragen der Entschädigung von NS-Opfern zu klären. Im konkreten Fall hatte es zwischen 1938 und 1945 – wenn auch in geringem Ausmaß – Mieteinnahmen gegeben. Die Finanzlandesdirektionen hatten laut dem Ersten Rückstellungsgesetz nur jene Erträgnisse zuzusprechen, die aufgelaufen und noch im Inland vorhanden waren. In diesem Sinne stellte die Finanzlandesdirektion 1948 den Saldo zum Zeitpunkt 30. September 1947 fest. Die in der Periode 1938 bis 1945 eingegangenen Erträgnisse, die nach Berlin abgeführt worden waren und daher den Rückstellungswerbern nicht zugesprochen wurden, stellen materielle Verluste dar, die bei der Rückstellung der Liegenschaft nicht berücksichtigt werden konnten. Für solche finanzielle Verluste sieht das Entschädigungsfondsgesetz Möglichkeiten einer monetären Abgeltung vor. Die Entscheidung darüber fällt jedoch nicht in die Kompetenz der Schiedsinstanz. Der gegenüber der Schiedsinstanz geltend zu machende Anspruch auf Rückstellung ist hingegen bereits in einem früheren Verfahren positiv entschieden worden. Aus diesen Gründen konnte keine Empfehlung auf Rückstellung der Liegenschaft ausgesprochen werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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