Entscheidung Nr. 482/2008

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Thomas H., Empfehlung
Katherine W., Empfehlung

Öffentliches Eigentum

Republik Österreich
Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Alsergrund (01002), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

482/2008

Datum

21.10.2008

Grund

"Extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Verbundene Entscheidung

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 482/2008

Wien, Alsergrund
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 21. Oktober 2008 die Rückstellung zweier der ÖBB Infrastruktur Bau AG gehörigen Liegenschaften in unmittelbarer Nähe des Franz-Josefs-Bahnhofs empfohlen. Die Liegenschaften waren bereits Gegenstand eines früheren Verfahrens gewesen, jedoch stellte der im Jahr 1951 geschlossene Vergleich eine extreme Ungerechtigkeit nach den Vorgaben des Entschädigungsfondsgesetzes dar.

Die ursprünglich eine Einheit bildende Liegenschaft mit einer Größe von ca. 8.200 m² befand sich 1938 im Eigentum des jugoslawischen Großindustriellen Arthur D. Dieser war zwar Angehöriger der evangelischen Religionsgemeinschaft, wegen seiner jüdischen Vorfahren war Arthur D. jedoch der Verfolgung durch das NS-Regime ausgesetzt. Arthur D. begab sich deshalb kurz vor oder nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich nach London. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verließ er die britischen Inseln und emigrierte über Brasilien in die USA.

Für Arthur D.s Vermögen in Österreich hatten die NS-Behörden zwischenzeitlich den kommissarischen Verwalter Josef K. bestellt. Nachdem zunächst ein privater Kaufinteressent die beantragte Liegenschaft erwerben wollte, bekundete die Deutsche Reichsbahn im September 1939 ihr Interesse an der weitgehend unbebauten Grundfläche. Da sie Betriebszwecke als Motiv für den Kauf anführte, wurde die Reichsbahn von den NS-Behörden als Käuferin bevorzugt. Sie konnte daher im Jänner 1940 die Liegenschaft um rund 71.000,- Reichsmark erwerben.

Ende 1947 beantragte Vera B., die einzige Tochter und Universalerbin des 1943 in New York verstorbenen Arthur D., bei der Rückstellungskommission Wien die Rückstellung der Liegenschaft vom Deutschen Reich. Da dieser Vermögenswert als „Deutsches Eigentum“ galt, war eine Verhandlung über den Rückstellungsanspruch zunächst nur mit Zustimmung aller vier alliierten Besatzungsmächte möglich. Eine solche Zustimmung war in jener Zeit allerdings nicht zu bekommen.

Da die Liegenschaft seit 1945 von den Österreichischen Bundesbahnen genutzt wurde, suchte Vera B.s Anwalt auch Vergleichsgespräche mit der österreichischen Bahnverwaltung. Diese bestritt einerseits das Vorliegen einer Vermögensentziehung, da die Liegenschaft für Eisenbahnzwecke erworben worden sei und damit auch jederzeit nach dem seit 1878 geltenden österreichischen Eisenbahnenteignungsgesetz hätte enteignet werden können. Auf einen von Vera B.s Anwalt im Sommer 1948 unterbreiteten Vergleichsvorschlag reagierte die Bahnverwaltung jedoch unter der Bedingung positiv, dass das Eigentum nach Zahlung des vorgeschlagenen Entschädigungsbetrages auf die Republik Österreich übergehe, da diese die Liegenschaft für Bahnzwecke dringend benötige. Ein im November 1951 geschlossener Vergleich zwischen Vera B., dem Deutschen Reich und der Republik Österreich regelte die Angelegenheit schließlich in diesem Sinne. Als Abgeltung für ihren Rückstellungsanspruch erhielt Vera B. einen Betrag von 25.000,- Schilling von der Republik Österreich.

Bald nach Abschluss des Rückstellungsverfahrens begannen die Österreichischen Bundesbahnen mit den Planungsarbeiten für die Errichtung von Dienstwohnungen auf der Liegenschaft. Zu diesem Zweck wurden zwei Bauplätze geschaffen, auf denen die Bahnverwaltung in den Jahren 1954 bis 1959 13 Häuserblöcke mit insgesamt 233 Wohneinheiten errichten ließ.

Die beiden AntragstellerInnen vor der Schiedsinstanz, ErbInnen von Vera B., machten extreme Ungerechtigkeit des 1951 geschlossenen Vergleiches geltend. Aufgrund der von den Österreichischen Bundesbahnen zur Verfügung gestellten Unterlagen war es der Schiedsinstanz möglich, den Ablauf der Ende der 1940er-Jahre geführten Vergleichsgespräche zwischen Vera B. und der Bahnverwaltung detailliert zu rekonstruieren. Dabei musste die Schiedsinstanz erkennen, dass die Bahnverwaltung zwar regelmäßig betonte, die Liegenschaft für Bahnzwecke zu benötigen, gleichzeitig aber keinerlei konkrete Hinweise auffindbar waren, die auf eine (geplante) Errichtung von Bahnanlagen hätten schließen lassen können. Erhärtet wurden diese Zweifel durch die unmittelbar nach Abschluss des Rückstellungsverfahrens einsetzenden Planungsarbeiten zur Errichtung von Wohnanlagen. Damit musste der Rückgriff auf die Enteignungsbestimmungen des Eisenbahnenteignungsgesetzes als unzulässig erkannt werden.

Im konkreten Fall schränkte dies aber den Handlungsspielraum der Rückstellungswerberin ein, die zudem aufgrund der beizubringenden alliierten Zustimmungserklärung an einer baldigen gerichtlichen Durchsetzung ihres Rückstellungsanspruchs gehindert war. Die Schiedsinstanz wertete dies als eine durch den öffentlichen Eigentümer herbeigeführte strukturelle Ungleichgewichtslage zuungunsten der damaligen Rückstellungswerberin Vera B. und den dadurch zustande gekommenen Vergleichsabschluss mit der geringen Abgeltungssumme von 25.000,- Schilling als „extrem ungerecht“.

Die Schiedsinstanz empfahl daher die Rückstellung der verbauten Liegenschaftsflächen mit einem Gesamtausmaß von ca. 5.400 m², wobei die Empfehlung nicht die 13 Häuserblöcke mit Wohnungen umfasst, da diese über ein Baurecht einer privaten Wohnbaugesellschaft zugeordnet sind. Die Differenz zur ursprünglichen Liegenschaftsfläche von 8.200 m² verteilt sich heute im Wesentlichen auf Zufahrtsstraßen. Dafür konnte die Schiedsinstanz keine Entschädigung zusprechen, da die Errichtung dieser Straßen in keinem Zusammenhang mit dem NS-Regime stand.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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