Entscheidung Nr. 709/2010

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Valentin A., Ablehnung
Sandra B., Ablehnung
Hilary H., Ablehnung
Judith H., Ablehnung
Lynn H., Ablehnung
Ruth H., Ablehnung
Daniel K., Ablehnung
Hanna K., Ablehnung
Lisbeth M. L., Ablehnung
Herbert N., Ablehnung
Rudolf N., Ablehnung
Eva P., Ablehnung
Renate S., Ablehnung
Renee S., Ablehnung
Susan T., Ablehnung
Brigitte W., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Land Niederösterreich
Republik Österreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Walterskirchen (15130), Poysdorf, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen
KG Poysdorf (15124), Poysdorf, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen
alle auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

709/2010

Datum

18.10.2010

Gründe

Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
Keine "extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 709/2010

Niederösterreich, Poysdorf und Walterskirchen
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution lehnte am 18. Oktober 2010 einen Antrag auf Restitution einer der Republik Österreich gehörenden Liegenschaft und einer dem Land Niederösterreich gehörenden Straßenfläche ab. Beide waren bereits Gegenstand von Rückstellungsverfahren gewesen, die 1955 jeweils mit einem Vergleich beendet worden waren. Darin hatte der Erbe des ursprünglichen Eigentümers gegen Zahlung eines Geldbetrages auf die Rückstellung verzichtet. Ein Grundstück war ihm in natura zurückgestellt worden. Nach dem Entschädigungsfondsgesetz ist die Schiedsinstanz nur in besonderen Ausnahmefällen berechtigt, von früheren Vergleichen abzuweichen. Sie konnte jedoch für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls keine ausreichenden Anhaltspunkte finden.

Im Jahr 1938 war Jakob S. Eigentümer dreier Gartengrundstücke in Poysdorf und zweier Ackerflächen in Walterskirchen. Im September 1938 versuchte S. – der als Jude im Sinne der Nürnberger Gesetze von 1935 von den NS-Behörden verfolgt war – die Grundstücke in Walterskirchen um 6.500,– Reichsmark an eine Privatperson zu verkaufen. Die Stadtgemeinde Poysdorf, die diese als Baulandreserve beanspruchte, verhinderte jedoch die Genehmigung des Verkaufs durch die NS-Vermögensverkehrsstelle. Beide Liegenschaften des Jakob S. wurden im April 1939 zwangsversteigert und um 4.500,– Reichsmark von der Stadtgemeinde erworben. Diese verkaufte die in Poysdorf gelegene Liegenschaft im Dezember 1939 an die Reichspost, die darauf eine Omnibusgarage errichtete.

Jakob S. war bereits im Herbst 1938 gezwungen worden, Poysdorf zu verlassen und nach Wien zu übersiedeln. Von dort wurde er im Mai 1942 nach Minsk deportiert und wahrscheinlich in der Vernichtungsstätte Maly Trostinec ermordet.

Im Jahr 1955 beantragte Heinrich S., ein Cousin von Jakob S., die Rückstellung der beiden Liegenschaften. Er verzichtete im Oktober 1955 gegen eine Zahlung von 26.000,– Schilling (zuzüglich 1.000,– Schilling Kostenersatz) auf die Rückstellung der Liegenschaft in Walterskirchen. Aufgrund eines zweiten Vergleichs erhielt Heinrich S. eine der drei Gartenparzellen in Poysdorf. Auf die Rückstellung der beiden übrigen verzichtete er gegen Zahlung von 18.625,– Schilling.

Gemäß dem Staatsvertrag von Wien 1955 gingen diese beiden Grundstücke in das Eigentum der Republik über. Im Jahr 1960 verkaufte Heinrich S. auch die dritte Parzelle an die Republik, der im Jahr 2001 weiterhin ein Großteil der ursprünglichen Liegenschaftsfläche (2.875 m²) gehörte. Aus der ursprünglich 2,6 ha großen Liegenschaft in Walterskirchen war lediglich eine Teilfläche von 330 m², die Mitte der 1970er-Jahre in die Landesstraße L 20 einbezogen wurde, im öffentlichen Eigentum.

Die insgesamt 16 AntragstellerInnen machten im Verfahren vor der Schiedsinstanz eine „extreme Ungerechtigkeit“ der beiden Vergleiche geltend. Zwischen der Vergleichssumme und dem Wert der Liegenschaften habe eine eklatante Wertdifferenz bestanden. Heinrich S., der aufgrund von Misshandlungen im Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt erblindet war, sei aufgrund dieser Behinderung und seiner misslichen finanziellen Lage in seiner Privatautonomie massiv eingeschränkt gewesen.

Den Argumenten der AntragstellerInnen konnte die Schiedsinstanz allerdings nicht folgen, weil die von diesen herangezogenen Vergleichskaufpreise auf die beantragten Liegenschaften nicht übertragbar waren. Die Schiedsinstanz gelangte zu dem Ergebnis, dass die Differenz zwischen den Vergleichssummen und dem Wert dessen, was Heinrich S. in einer Rückstellungsentscheidung hätte zugesprochen werden müssen, im Falle der Poysdorfer Liegenschaft höchstens 15 %, bei jener in Walterskirchen maximal 30 % ausmachte. Zugleich gab es zwar Hinweise, dass der Handlungsspielraum des Heinrich S. eingeschränkt gewesen sein könnte. Es war jedoch nicht erkennbar, dass sich das auf den Ausgang der beiden Rückstellungsverfahren ausgewirkt hat.

Wertdifferenz und Einschränkung der Privatautonomie – die beiden Kriterien, die erfüllt sein müssen, um die extreme Ungerechtigkeit eines Vergleichs zu begründen – waren somit zwar vorhanden, jedoch war ihre Ausprägung zu gering um eine extreme Ungerechtigkeit annehmen zu können.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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