Entscheidung Nr. 736/2011

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Raphael F., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Neubau (01010), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

736/2011

Datum

02.03.2011

Grund

Sonstiger Entscheidungsgrund

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 736/2011

Wien, Neubau
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 2. März 2011 einen Antrag auf Rückstellung einer im Eigentum der Stadt Wien stehenden Liegenschaft in Wien, Neubau abgelehnt. Die Liegenschaft hatte bis 1934 einer sozialdemokratischen Organisation gehört und war nach deren Enteignung aufgrund ständestaatlicher Bestimmungen von zwei jüdischen Rechtsanwälten 1935 gekauft worden. Diese wurden nach dem "Anschluss" ihrerseits vom nationalsozialistischen Regime verfolgt und enteignet. Nach dem Krieg wurde die Immobilie nicht an die ErbInnen der im Holocaust ums Leben gekommenen jüdischen Eigentümer rückgestellt, sondern gemäß den Bestimmungen des Ersten Rückgabegesetzes an den so genannten Restitutionsfonds der Freien Gewerkschaften zurückgegeben.

Die beantragte Liegenschaft hatte in der Ersten Republik dem Verband der Juweliere, Gold- und Silberschmiede und verwandter Berufe Österreichs, einer sozialdemokratischen Organisation, gehört. 1934 wurde der Verband aufgelöst, sein Vermögen vom Ständestaat beschlagnahmt und dem neugeschaffenen Gewerkschaftsbund der österreichischen Arbeiter und Angestellten übertragen. Dieser verkaufte die Liegenschaft 1935 an zwei Rechtsanwälte, die Brüder Dr. Maximilian R. und Dr. Adolf R. Die neuen Eigentümer wurden nach dem „Anschluss“ als Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze aus 1935 verfolgt und in Auschwitz bzw. Maly Trostinec ermordet. Ihre Liegenschaft verfiel aufgrund der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Deutschen Reich, wobei der Eigentumsübergang im Grundbuch nicht vermerkt wurde.

Nach 1945 betrieb der Abwesenheitskurator der beiden verstorbenen jüdischen Eigentümer über Rechtsanwalt Dr. Anton L. die Rückstellung der Immobilie bei der zuständigen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Dieses Verfahren kam jedoch wegen Differenzen zwischen Dr. L. und der Behörde über die Verwaltung der Liegenschaft nie zu einem Abschluss. Im Dezember 1948 erklärte die Finanzlandesdirektion, den Rückstellungsantrag nicht weiter behandeln zu können.

Inzwischen hatte der eigens für die Rückgängigmachung von politisch bedingten Vermögensverschiebungen in der Zeit des Ständestaats errichtete Restitutionsfonds der Freien Gewerkschaften einen Antrag auf Rückgabe der Liegenschaft bei der Rückgabekommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gestellt. Der Antrag war gegen die weiterhin im Grundbuch als Eigentümer eingetragenen Brüder R. gerichtet. Diese waren wiederum durch ihren Abwesenheitskurator vertreten, der Dr. L. mit der Prozessführung betraute. Gestützt auf die Bestimmungen des Ersten Rückgabegesetzes gab die Rückgabekommission dem Antrag des Restitutionsfonds mit Erkenntnis vom 31. August 1948 statt. Das Begehren des Vertreters der Brüder R. auf Rückzahlung des Kaufpreises wies sie ab. Da auch eine Beschwerde der Antragsgegner gegen diese Entscheidung keinen Erfolg brachte, wurde das Erkenntnis am 23. Juli 1949 rechtskräftig.

1954 wurde die Stadt Wien Eigentümerin der Liegenschaft.

Bemühungen von Elise R., der Ehefrau von Dr. Maximilian R., der nach dem „Anschluss“ die Flucht in die USA gelungen war, eine Entschädigung für den 1935 von den Brüdern R. für die Liegenschaft in Wien, Neubau bezahlten Kaufpreis zu erlangen, blieben erfolglos.

Als testamentarischer Erbe nach Elise R. ist der nunmehrige Antragsteller im Verfahren vor der Schiedsinstanz sowohl nach Dr. Maximilian R. als auch nach Dr. Adolf R., der vor seinem Bruder starb, erbberechtigt. Wenngleich im vorliegenden Fall eine Entziehung im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes vorliegt und es nach Kriegsende zu keiner Rückstellung der Liegenschaft an die ErbInnen der Brüder R. kam, musste die Schiedsinstanz den Antrag ablehnen. Einer Empfehlung auf Rückstellung steht das Erste Rückgabegesetz aus 1947 entgegen, das ausdrücklich bestimmt, dass der Anspruch auf Rückgabe von Vermögen, die demokratischen Organisationen während der Zeit des Ständestaats abgenommen wurden, Vorrang gegenüber einem Anspruch auf Rückstellung desselben Vermögens hat, das in der NS-Zeit entzogen wurde. Dem Entschädigungsfondsgesetz ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die sich aus dem Ersten Rückgabegesetz ergebende Güterzuordnung rückgängig machen wollte. Zwar haben die ErbInnen der Brüder R. insoweit einen Schaden erlitten, als sie den Kaufpreis für die Liegenschaft nicht zurückerhielten, doch wurden in vergleichbaren Fällen auch vom NS-Regime nicht verfolgte Personen auf diese Weise geschädigt. Daher war der Antrag von der Schiedsinstanz abzulehnen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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