Entscheidung Nr. 735/2011

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Judith B., Empfehlung
Edna H., Empfehlung
Lea K., Empfehlung
Roni N., Empfehlung
Irith S., Empfehlung
Tamar T., Empfehlung
Anat V., Empfehlung

Öffentliches Eigentum

Land Niederösterreich
Republik Österreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Markgrafneusiedl (06213), Markgrafneusiedl, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

735/2011

Datum

06.04.2011

Gründe

Rückstellung nach 1945 bereits erfolgt
Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
Keine frühere Maßnahme iSd EF-G
Sonstiger Entscheidungsgrund

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Verbundene Entscheidung

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 735/2011

Niederösterreich, Markgrafneusiedl

Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 6. April 2011 die Rückstellung von rund 6,6 Hektar im Gemeindegebiet von Markgrafneusiedl, Bezirk Gänserndorf, empfohlen. Zwar waren diese Grundflächen nach 1945 bereits Gegenstand eines früheren Rückstellungsverfahrens gewesen. Damals war der Anspruch jedoch abgelehnt worden. Da der Verkauf der Liegenschaft im Jahr 1938 nach Ansicht der Schiedsinstanz einen verfolgungsbedingten Entzug darstellte, konnte die Schiedsinstanz mit Rücksicht auf den vom Entschädigungsfondsgesetz verfolgten Zweck eine Empfehlung aussprechen.

Der Landwirt Samuel D. besaß im Jahr 1938 in Markgrafneusiedl, Niederösterreich eine knapp 30 Hektar große Landwirtschaft. Bald nach dem „Anschluss“ begann die reichsdeutsche Luftwaffe mit den Planungen für die Errichtung eines geheimen Militärflugplatzes in den Gemeindegebieten von Markgrafneusiedl und Deutsch-Wagram. Zu dem rund 117 Hektar großen Flughafengelände musste Samuel D. Ackerflächen von rund 6,6 Hektar beitragen. 

Während das Deutsche Reich anderen betroffenen Grundeigentümern Ersatzflächen zur Verfügung stellte bzw. vermittelte, musste Samuel D. als Jude seinen ganzen Besitz – unter anderem auch das etwa drei Kilometer vom Flughafengelände entfernte Bauernhaus – an die Luftwaffe verkaufen. Bald nach dem Verkauf im Sommer 1938 wurden Samuel D. und seine Ehegattin Marie aus Markgrafneusiedl vertrieben. Beide verstarben 1941 in Wien.     

Nach Kriegsende wurde der Flughafen als „Deutsches Eigentum“ von der sowjetischen Besatzungsmacht beansprucht. Im Juni 1951 beantragten die Erbinnen von Samuel D. die Rückstellung des 1938 verlorenen Besitzes. Eine Fortsetzung des Verfahrens war allerdings erst nach dem Abzug der alliierten Truppen im Jahr 1955 möglich. Im selben Jahr ging mit dem Abschluss des Staatsvertrages von Wien auch das Eigentum an den beantragten Liegenschaftsflächen auf die Republik Österreich über. 

Diese bestritt im Rückstellungsverfahren das Vorliegen einer Vermögensentziehung. Sowohl die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als auch der Bundesminister für Finanzen folgten dieser Ansicht und lehnten den Rückstellungsanspruch 1959 bzw. 1960 ab. Sie stützten sich dabei auf das erst kurz zuvor erlassene 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetz, wonach Erwerbungen für militärische Zwecke nur dann einen Entzug darstellten, wenn „im Einzelfall die damals geltenden Gesetze missbräuchlich angewendet worden sind oder der Eigentümer lediglich auf Grund politischer Verfolgung zur Veräußerung genötigt worden ist“. Nach Ansicht der Rückstellungsbehörden war dies jedoch bei Samuel D. nicht der Fall, da auch Grundflächen anderer Personen in den Flugplatz einbezogen wurden.

In der rechtlichen Beurteilung des Falles kam die Schiedsinstanz zunächst zu dem Schluss, dass es sich bei dem Verkauf der Liegenschaft Samuel D.s im Jahr 1938 um einen Entzug im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes handelt: Zwar mussten auch andere Grundeigentümer an die Luftwaffe verkaufen, Samuel D.s Transaktion war jedoch maßgeblich davon geprägt, dass er als Jude vom NS-Regime verfolgt war. Er hatte keine Möglichkeit, mit der Luftwaffe zu verhandeln, bekam keine Ersatzliegenschaften zur Verfügung gestellt und konnte zudem – anders als die anderen Verkäufer – nicht frei über den Kaufpreis verfügen.

Die Ablehnungen des Rückstellungsantrags durch die Finanzlandesdirektion und den Finanzminister stellten zwar keine „extreme Ungerechtigkeit“ im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes dar, da die Entscheidungen nach der damaligen Gesetzeslage auf einer vertretbaren Rechtsansicht fußten. Allerdings zeigte sich bei der Prüfung durch die Schiedsinstanz, dass dem engen Entzugsbegriff des 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes durch den umfassenden Entzugsbegriff im später erlassenen Entschädigungsfondsgesetz derogiert wird. Da der Entzugsbegriff des 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes damit außer Kraft gesetzt ist, konnten die auf Grundlage dieses Gesetzes ergangenen Bescheide unbeachtlich bleiben. Mit Rücksicht auf den allgemeinen Zweck des Entschädigungsfondsgesetzes, offene Vermögensfragen zu regeln, empfahl die Schiedsinstanz die Rückstellung.

Der von einer Enkelin, fünf Urenkelinnen und einer weiteren Erbin von Samuel D. gestellte Antrag bezog sich auf rund 24 Hektar seines früheren Liegenschaftsbesitzes in Markgrafneusiedl. Davon waren in den 1950er-Jahren bereits sieben Hektar zurückgestellt worden; weitere rund zehn Hektar  standen zum Stichtag nach dem Entschädigungsfondsgesetz, dem 17. Jänner 2001, nicht mehr im öffentlichen Eigentum. Die Restfläche von insgesamt 66.642 m² verteilte sich zum Stichtag auf folgende öffentliche Eigentümer: die Bundesimmobiliengesellschaft, das Land Niederösterreich und die Errichtungsgesellschaft Marchfeldkanal.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
Für Rückfragen: