Entscheidung Nr. 738/2011
Antrag
AntragstellerIn, Status
Liana Marietta R., Ablehnung
Riccarda Bettina R., Ablehnung
Peterne (Erszebet) S., Ablehnung
Öffentliches Eigentum
Vermögensart
Liegenschaft/en in
Entscheidung
Nummer
Datum
Grund
Typ
Anonymisierter Volltext
Pressemitteilung
Pressemitteilung Entscheidung Nr. 738/2011
Die beantragte Liegenschaft, ein Ende des 18. Jahrhunderts errichtetes Zinshaus im fünften Wiener Gemeindebezirk, stand 1938 im Eigentum von Gisela S., die nach den NS-Gesetzen als Jüdin galt. 1941 verkaufte Gisela S. die Liegenschaft um 22.000,– Reichsmark an Karl Ko.Dieser verkaufte sie 1942 an seinen Bruder Anton Ko. weiter. Gisela S. und ihr Ehemann Elieser Leib S. wurden 1942 zunächst in das Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt und kurz darauf in das Vernichtungslager Treblinka deportiert, wo sie ermordet wurden.
Das Wohnhaus auf der Liegenschaft war durch Kriegseinwirkung beschädigt worden, weshalb 1948 ein Bauauftrag des Wiener Magistrats erging, die Schäden zu beseitigen. Seitens der Verlassenschaft nach dem mittlerweile verstorbenen Anton Ko. waren nicht genügend Geldmittel vorhanden, um die Kosten der Bauarbeiten von rund 37.780,– Schilling, die von der Stadt Wien vorgestreckt worden waren, zu zahlen. Deshalb wurde 1950 auf der Liegenschaft ein Pfandrecht zur Sicherung dieser Forderung für die Stadt Wien einverleibt.
1951 beantragte eine Tochter von Gisela S., Irene L., die die NS-Zeit versteckt in Budapest überlebt hatte, vor der Rückstellungskommission in Wien die Rückstellung der Liegenschaft von der Verlassenschaft nach Anton Ko. Im April 1953 zog Irene L. im Zuge eines Vergleiches ihren Rückstellungsantrag gegen einen Kostenbeitrag von 2.000,– Schilling zurück.
Die nunmehrigen AntragstellerInnen, EnkelInnen von Gisela S., machten im Verfahren vor der Schiedsinstanz eine extreme Ungerechtigkeit des 1953 geschlossenen Vergleichs geltend. Die Schiedsinstanz stellte bei der Prüfung, ob der Vergleich als extrem ungerecht zu bewerten sei, fest, dass Gisela S. vom Kaufpreis rund 9.730,– Reichsmark zu ihrer freien Verfügung erhalten hatte. Diesen Betrag in Schilling hätte Irene L. im Falle einer Rückstellung der Liegenschaft zurückzahlen müssen. Ebenso hätte sie das Pfandrecht der Stadt Wien im Betrag von rund 37.780,– Schilling übernehmen müssen, da das Geld für notwendige Maßnahmen im Sinne des Dritten Rückstellungsgesetzes verwendet worden war.
Der Wert der Liegenschaft zum Zeitpunkt des Rückstellungsvergleichs betrug höchstens 44.500,– Schilling; die Gegenforderungen lagen bei über 47.500,– Schilling und überstiegen somit den Wert der Liegenschaft um mehr als 3.000,– Schilling. Daher liegt kein Wertmissverhältnis zwischen dem Vergleich und einem hypothetischen Rückstellungserkenntnis vor. Die weitere Voraussetzung für eine extreme Ungerechtigkeit, nämlich eine Einschränkung der Privatautonomie von Irene L. während des Rückstellungsverfahrens, war aus diesem Grund nicht mehr zu prüfen.
Für Rückfragen: presse@nationalfonds.org