Entscheidung Nr. 817/2011

Vollrath L. besaß im Jahr 1938 ein rund 30.000 Hektar umfassendes Fideikommissgut in Oberösterreich und ein 718 Hektar großes Fideikommissgut in Niederösterreich.

Das oberösterreichische Gut, eine Jagd- und Forstwirtschaft, war bereits Anfang der 1930er-Jahre mit hohen Hypotheken belastet, weshalb ab 1934 über einen Verkauf verhandelt wurde. Am 18. März 1938 schloss Vollrath L. mit einem deutschen Industriellen einen Kaufvertrag über das Gut ab, der von der zuständigen Fideikommissbehörde genehmigt wurde. Kurz darauf meldete Reichsforstmeister Hermann Göring Interesse an einem Kauf des Gutes an. Die Genehmigung des Kaufvertrages mit den deutschen Industriellen vom 18. März 1938 wurde von der übergeordneten Instanz aufgehoben. Am 4. Juni 1938 verkaufte Vollrath L. das Fideikommissgut und einzelne in seinem freien Eigentum stehende Liegenschaften an das Deutsche Reich. Der Verkaufserlös wurde zum Großteil zur Entschuldung des Gutes verwendet, der Rest im Verhältnis 2:1 an Vollrath L. und seinen Sohn Karl Othmar L., der Anwärter auf beide Fideikommisse war, ausbezahlt.

Das niederösterreichische Fideikommissgut lag 1938 zur Gänze in jenem Areal, das nach den Plänen des Deutschen Reichs in den zukünftigen Truppenübungsplatz Döllersheim einbezogen werden sollte. Bereits im Herbst 1938 wurde ein Teil, ein Jahr später auch das restliche Areal des Gutes vom Kommando des Truppenübungsplatzes in Besitz genommen. Am 1. Februar 1940 verkaufte Vollrath L. das gesamte Fideikommissgut an das Deutsche Reich.

Karl Othmar L., der 1931 als Adjutant des steirischen Heimwehrführers Walter Pfrimer am Putsch-Versuch gegen die österreichische Bundesregierung teilgenommen hatte, schloss sich nach seiner Flucht nach Deutschland der NSDAP an und setzte sich später in die Tschechoslowakei ab. Im Herbst 1940 wurde er von der Gestapo in Prag wegen Verdachts auf Landesverrat in Haft genommen. Anfang Dezember 1941 fand diesbezüglich ein Strafprozess am Wiener Landgericht statt. Obwohl das Verfahren mit einem Freispruch für Karl Othmar L. endete, wurde er danach der Gestapo übergeben und in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo er am 11. Juli 1942 verstarb.

1956 stellte Vollrath L. bezüglich des oberösterreichischen Gutes einen Rückstellungsantrag bei der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich. Diese wies den Antrag teilweise ab, weil die Bucheigentümer der Liegenschaften (Reichsgau Oberdonau und Stadtgemeinde Steyr) weder mit dem Deutschen Reich noch mit einer seiner Einrichtungen identisch seien. Einen gleichlautenden Antrag von Vollrath L. wies die Rückstellungskommission des Landesgerichtes Linz mit der Begründung ab, dass kein Entziehungstatbestand im Sinne des Dritten Rückstellungsgesetzes gegeben sei und Vollrath L. die Herrschaft wegen der prekären finanziellen Lage auch ohne die Machtergreifung des Nationalsozialismus verkaufen hätte müssen.

Bezüglich des Gutes in Niederösterreich stellte Vollrath L. 1956 bei der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland einen Rückstellungsantrag, der am 14. Dezember 1961 von seiner Rechtsnachfolgerin, Johanna L., zurückgezogen wurde.

Am 15. Dezember 1961 schloss die Rechtsnachfolgerin Vollrath L.’s – dieser war 1958 verstorben – vor der Rückstellungskommission Linz mit dem Land Oberösterreich und der Republik Österreich einen Vergleich, in dem sie gegen Zahlung von 800.000,– Schilling auf sämtliche noch offene Rückstellungsansprüche verzichtete.

Die Schiedsinstanz kam in ihrer rechtlichen Beurteilung zum Schluss, dass eine Verfolgung von Vollrath L. im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes nicht vorlag. Er gehörte weder einer vom NS-Regime verfolgten Personengruppe an, noch konnten Hinweise auf konkrete Verfolgungshandlungen festgestellt werden. Die Schiedsinstanz konnte auch keine Hinweise feststellen, dass die Verfolgung des Sohnes von Vollrath L., Karl Othmar L., in einem kausalen Zusammenhang zum Verkauf der beiden Güter gestanden wäre. Das oberösterreichische Gut musste aufgrund der schlechten Wirtschaftslage, das niederösterreichische Gut wegen der Einbeziehung in den Truppenübungsplatz verkauft werden. Da die Verkäufe der beiden Fideikommissgüter an das Deutsche Reich somit keinen verfolgungsbedingten Entzug darstellen, war der Antrag auf Rückstellung abzulehnen.