Entscheidung Nr. 818/2011

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Annika Viktoria L., Ablehnung
Fritz Henrik S., Ablehnung
Gunvor Viktoria S., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Republik Österreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Vöslau (04035), Bad Vöslau, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

818/2011

Datum

13.12.2011

Gründe

Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
Keine "extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 818/2011

Niederösterreich, Bad Vöslau
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 13. Dezember 2011 Anträge auf Naturalrestitution einer zum Stichtag 17. Jänner 2001 im Eigentum der Republik Österreich stehenden Liegenschaft in Bad Vöslau, Niederösterreich abgelehnt. Die beantragte Liegenschaft war nach 1945 bereits Gegenstand eines Rückstellungsverfahrens gewesen, das 1950 mit einem Vergleich beendet wurde. Dieser Vergleich war jedoch nicht "extrem ungerecht" im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes.

Auf der beantragten Liegenschaft befand sich eine 1894 erbaute Villa mit einem Postamt und mehreren vermieteten Wohnungen. Im Jahr 1938 stand die Liegenschaft zu 92/120-Anteilen im Eigentum von Karoline K., die im Sinne der Nürnberger Gesetze nach dem „Anschluss“ als Jüdin galt und verfolgt wurde. Bereits vor 1938 hatte sie auch die restlichen Anteile an der Liegenschaft erworben, war aber im Grundbuch nicht als Eigentümerin dieser Anteile eingetragen. Am 2. Juni 1939 errichtete Karoline K. ein Testament, in dem sie ihre Schwester Josefine S., die Großmutter bzw. Schwiegermutter der AntragstellerInnen, zur Alleinerbin einsetzte. Daneben setzte sie eine Reihe von Liegenschaftslegaten aus: Die beantragte Liegenschaft vermachte sie ihrem Rechtsanwalt Dr. Adalbert St. Karoline K., die kinderlos war und deren Ehemann Theodor nach dem „Novemberpogrom“ am 12. November 1938 Selbstmord begangen hatte, verstarb am 12. Juli 1939 in Wien.

Josefine S., ihr Mann Oskar und ihre Tochter Johanna wurden 1942 nach Maly Trostinec im heutigen Weißrussland deportiert, wo sie unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Fritz S., der Sohn und Alleinerbe von Josefine S., war im Juni 1939 nach Schweden geflohen. Dr. St. verkaufte die ihm von Karoline K. hinterlassenen Anteile an der Liegenschaft im Jahr 1943 an Rudolf T. weiter.

Fritz S. stellte 1948 einen Antrag auf Rückstellung der Liegenschaft. Im Dezember 1950 schlossen die Verfahrensparteien Fritz S. und Rudolf T. vor der Rückstellungskommission einen Vergleich ab, demzufolge die Hälfte der entzogenen Liegenschaftsanteile an Fritz S. zurückgestellt wurden. 1958 veräußerten Fritz S. und Rudolf T. ihre Anteile an der Liegenschaft an die Republik Österreich. Nachdem sie die noch im Grundbuch eingetragenen EigentümerInnen der restlichen Anteile erfolgreich auf Herausgabe geklagt hatten, verkauften sie auch diese Anteile der Republik.

Die Liegenschaft stand zum Stichtag 17. Jänner 2001 im Eigentum der Österreichischen Post AG, deren Alleinaktionärin die im Eigentum der Republik Österreich stehende Österreichische Industrieholding AG war. Die Republik war am Stichtag zudem Eigentümerin einer im Jahr 1956 abgeschriebenen Teilfläche der beantragten Liegenschaft.

Die Schiedsinstanz hatte zu prüfen, ob der 1950 geschlossene Vergleich eine „extreme Ungerechtigkeit“ im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes (EF-G) darstellte. Weder aus den Angaben der AntragstellerInnen noch aus den Feststellungen der Schiedsinstanz ergaben sich Hinweise auf eine extreme Ungerechtigkeit des Rückstellungsvergleichs. Fritz S. hatte auch gegen andere Legatarinnen von Karoline K., die ebenso wenig wie Dr. St. vom NS-Regime verfolgt worden waren, Rückstellungsverfahren geführt. Da die Rückstellungskommission entschied, dass es sich bei diesen Legaten nicht um eine Entziehung gehandelt hatte, stellt die Gefahr einer Abweisung des Rückstellungsantrags von Fritz S. auch im Prozess gegen Rudolf T. eine plausible Erklärung dafür dar, dass sich Fritz S. im Vergleich mit der Hälfte des maximal möglichen Prozesserfolges begnügte. Da somit keine „extreme Ungerechtigkeit“ im Sinne des EF-G vorlag, war der Antrag auf Naturalrestitution abzulehnen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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