Entscheidung Nr. 860/2012

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Helene S., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Hernals (01402), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

860/2012

Datum

11.09.2012

Grund

Keine "extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 860/2012

Wien, Hernals
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 11. September 2012 den Antrag auf Naturalrestitution einer Liegenschaft im Eigentum der Stadt Wien in Wien, Hernals abgelehnt. Die beantragte Liegenschaft war im Jahr 1950 Gegenstand eines Rückstellungsvergleiches. Die Schiedsinstanz fand keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dieser als „extrem ungerecht“ zu qualifizieren wäre.

Die beantragte Liegenschaft im 17. Bezirk in Wien, auf der sich ein zwischen 1862 und 1873 erbautes, zweistöckiges Mietzinshaus befand, stand 1938 im Eigentum des minderjährigen Walter S. Ebenfalls in dessen Eigentum stand die angrenzende Liegenschaft, die gleichfalls mit einem Mietzinshaus bebaut war. Walter S. hatte die beiden Liegenschaften im Jahr 1932 gemeinsam mit seiner Stiefmutter Hedwig S. um 52.000,– Schilling erworben. Während Walter S. Eigentümer der Liegenschaften war, stand Hedwig S. das Fruchtgenussrecht an diesen zu.

Walter S. und seine Stiefmutter Hedwig S. galten nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich gemäß den Nürnberger Gesetzen von 1935 als jüdisch, sein Vater Franz S. hingegen als „arisch“. Aufgrund seiner Ehe mit Hedwig S. wurde Franz S. im Jahr 1938 die Genehmigung für seinen Marktstand am Schwendermarkt entzogen, wodurch die Familie ihre Einkommensquelle verlor. Um offene Judenvermögensabgabeforderungen für Walter und Hedwig S. bezahlen zu können, bot Franz S. als gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Walter S. über einen Immobilienvermittler beide Liegenschaften zum Verkauf an.

Im September 1939 verkaufte Walter S., vertreten durch Franz S., die beiden Liegenschaften um 31.800,– Reichsmark an das Ehepaar Franz und Franziska W. sowie deren beide Töchter. Aus dem Kaufpreis erhielt Hedwig S. eine Ablöse für ihr Fruchtgenussrecht, der Rest wurde für die Judenvermögensabgabe und andere Forderungen verwendet. 1940 verkaufte die Familie W. die antragsgegenständliche Liegenschaft um 15.000,– Reichsmark an den Gastwirt Alois Sch. weiter.

Am 19. April 1945 wurde der 16-jährige Walter S. in Ausübung seines Dienstes als Hilfspolizist in Wien-Mauer unter ungeklärten Umständen erschossen. Sein Vater, seine Stiefmutter und seine Halbschwester, die ebenfalls als jüdisch galt, überlebten die NS-Zeit in Wien.

1948 brachte Franz S. als Erbe seines Sohnes einen Rückstellungsantrag gegen die Familie W. und Alois S. ein. Am 5. Mai 1950 schloss Franz S. mit Alois Sch. einen Vergleich, wonach er gegen Bezahlung von 4.000,– Schilling auf die Rückstellung der antragsgegenständlichen, seit 1945 stark bombengeschädigten Liegenschaft verzichtete. Am 7. Juni 1950 wurde die Familie W. durch Erkenntnis der Rückstellungskommission Wien schuldig gesprochen, die zweite, nicht weiterverkaufte Liegenschaft an Franz S. zurückzustellen.

Die Schiedsinstanz hatte den Vergleich vom 5. Mai 1950 auf das Vorliegen einer „extremen Ungerechtigkeit“ im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes zu prüfen. Die Schiedsinstanz stellte dabei fest, dass Franz S. im Fall der Rückstellung der Liegenschaft den Walter S. zugekommenen Kaufpreisanteil zurückzubezahlen gehabt hätte. Obwohl die Lebenssituation von Walter S. durch den NS-bedingten Verlust seines Geschäftes und den Tod seines Sohnes schwierig war, konnte nicht festgestellt werden, dass sich dies auf den Vergleichsabschluss ausgewirkt hätte. So war Franz S. durch einen Rechtsanwalt vertreten und wurde das Rückstellungsverfahren korrekt geführt. Auch für das Vorliegen eines Informationsdefizits des Rückstellungswerbers gab es keine Anhaltspunkte. Der Verzicht auf die Rückstellung dürfte seinen Grund im schlechten Zustand der bombengeschädigten Liegenschaft gehabt haben. Im Ergebnis war der Vergleich nicht als „extrem ungerecht“ zu werten. Der Antrag auf Rückstellung der beantragten Liegenschaft war daher abzulehnen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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