Entscheidung Nr. 873/2012

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Frank R., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Oberbaumgarten (01208), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

873/2012

Datum

16.10.2012

Gründe

Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
Rückstellung in natura ex lege an die Sammelstellen A/B
Keine Entziehung iSd EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 873/2012

Wien, Oberbaumgarten

Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 16. Oktober 2012 einen Antrag auf Rückstellung von im Eigentum der Stadt Wien stehenden Grundflächen in Wien, Oberbaumgarten abgelehnt. Diese Flächen hatten 1938 zu zwei Liegenschaften gehört, die im Eigentum des Vaters des Antragstellers gestanden waren: Bei der einen Liegenschaft verneinte die Schiedsinstanz das Vorliegen eines Entzugs im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes. Die andere Liegenschaft verfiel 1941 dem Deutschen Reich, gelangte aber 1958 aufgrund des Auffangorganisationengesetzes in das Eigentum der Sammelstellen. Wegen dieser früheren Maßnahme lehnte die Schiedsinstanz auch die Naturalrestitution der aus der zweiten Liegenschaft stammenden Flächen ab.

Gegenstand des Antrags war einerseits eine aus mehreren Baugründen bestehende Liegenschaft in Wien, Oberbaumgarten, die an einen Kleingartenverein verpachtet war. Die Eigentümerin Jenny R. musste im Jahr 1934 ein Darlehen in der Höhe von 41.000,– Schilling bei einer Wiener Privatbank aufnehmen, um eine Zwangsversteigerung abzuwenden. Gleichzeitig bevollmächtigte sie den Wiener Anwalt Dr. I., die Grundstücke abzuverkaufen. Nach Jenny R.s Tod im Jahr 1936 ging das Eigentum an ihren Sohn Julius R. über. Am 12. März 1938 war der Wert der Liegenschaft geringfügig höher als die noch aushaftende Darlehensschuld.

Sowohl Julius R. als auch der Anwalt Dr. I. wurden nach dem „Anschluss“ in die Emigration getrieben. Die seit November 1938 in Liquidation befindliche Gläubigerbank versuchte im Herbst 1939, bei der Vermögensverkehrsstelle die Einsetzung eines Verkaufstreuhänders für Julius R.s Liegenschaft zu erreichen, doch wurde ihr Antrag abgewiesen. Im Frühjahr 1940 klagte die Bank Julius R. auf Erteilung einer Vollmacht, die mit der von Jenny R. dem Dr. I. ausgestellten Vollmacht identisch sei. Das Amtsgericht Wien gab der Klage mit Urteil vom 13. Juni 1940 statt. Der Rechtsanwalt der Bank, Dr. K., schloss in den folgenden Monaten unter Berufung auf das Gerichtsurteil Kaufverträge über fünf Grundstücke der Liegenschaft ab, von denen die Abwicklungsstelle der Vermögensverkehrsstelle nur drei genehmigte.

Aufgrund der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 verfiel das Vermögen von Julius R., darunter auch die gegenständliche Liegenschaft, dem Deutschen Reich. Der Eigentumsübergang wurde im Grundbuch nicht eingetragen.

Nach Kriegsende übernahm die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, eine Dienststelle des Bundesministeriums für Finanzen, die Verwaltung der Liegenschaft. In den Jahren 1951 bis 1955 verkauften die Liquidatoren der Bank die restlichen Grundstücke, wobei sie ihre Vertretungsmacht wiederum vom Urteil vom 13. Juni 1940 herleiteten. Das Finanzministerium bzw. die Finanzlandesdirektion erklärten sich mit den Verkäufen einverstanden.

Mehrere Flächen der Liegenschaft standen am 17. Jänner 2001 im Eigentum der Stadt Wien.

In ihrer Beurteilung kam die Schiedsinstanz zum Ergebnis, dass es auch ohne „Anschluss“ zum vollständigen Verkauf dieser Liegenschaft gekommen wäre. Sie prüfte aber auch, ob dies nicht zu günstigeren Bedingungen für Julius R. geschehen wäre: Hätte er bei einem Verkauf ohne Eingriffe des NS-Regimes einen Preis erzielt, der höher war als die Darlehensschuld, dann wäre eine Entziehung vorgelegen. Die Schiedsinstanz verneinte dies allerdings: Zwar führte die NS-Machtergreifung zu erheblichen Verzögerungen beim Abverkauf der Grundstücke, die die Zinsenlast stark ansteigen ließen. Es war jedoch nicht zu erkennen, dass Julius R. bzw. sein Anwalt ohne die NS-Machtergreifung rechtzeitig KäuferInnen gefunden hätte, um den zum 12. März 1938 sich ergebenden rechnerischen Überschuss auch tatsächlich zu realisieren – nicht zuletzt angesichts der sehr hohen Zinsen auf der Forderung der Bank.

Bezüglich der zweiten Liegenschaft bestand schon vor dem 12. März 1938 eine Verpflichtung zur entgeltlichen Abtretung ins öffentliche Gut der Stadt Wien. Auch diese Liegenschaft war vom Vermögensverfall nach der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz umfasst. Julius R., der den Zweiten Weltkrieg in Südamerika überlebt hatte, erhob bis zum Ablauf der Rückstellungsfrist im Jahr 1956 keinen Anspruch auf seinen früheren Liegenschaftsbesitz. Dadurch fiel diese Liegenschaft gemäß dem Auffangorganisationengesetz an die Sammelstellen, die von der Republik Österreich eingerichtet worden waren, um nicht erhobene Rückstellungsansprüche geltend zu machen und die daraus erzielten Erlöse zugunsten von NS-Opfern zu verwenden. 1960 verkauften die Sammelstellen die Liegenschaft an die Stadt Wien.

Damit lag zwar im Fall der zweiten Liegenschaft ein Entzug vor. Da jedoch die Sammelstellen, die hinsichtlich des Rückstellungsanspruches vom Gesetz zu den Rechtsnachfolgerinnen des geschädigten Eigentümers Julius R. berufen worden waren, 1958 auch faktisch das Eigentum an der Liegenschaft erwarben, ist der Rückstellungsanspruch bereits einmal zur Gänze erfüllt worden. In solchen Fällen ist es der Schiedsinstanz nicht möglich, eine nochmalige Rückstellung zu empfehlen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
Für Rückfragen: