Entscheidung Nr. 872/2012

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Eythan D., Empfehlung
Renee-Anna G., Empfehlung

Öffentliches Eigentum

Stadtgemeinde Schwechat

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Schwechat (05220), Schwechat, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

872/2012

Datum

17.12.2012

Gründe

Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
"Extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G
Keine Entziehung iSd EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Verbundene Entscheidung

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 872/2012

Niederösterreich, Schwechat
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 17. Dezember 2012 die Rückstellung von Liegenschaftsflächen in Schwechat empfohlen. Gegenstand der Entscheidung ist eine Liegenschaft, die im März 1938 zur Hälfte dem jüdischen Rechtsanwalt Dr. Arthur D. gehörte. Nach dem "Anschluss" verkaufte er seinen Anteil. Der Sohn des im Holocaust ermordeten Arthur D. stellte nach 1945 keine Rückstellungsansprüche, weshalb die Sammelstellen Erhebungen in Bezug auf die Liegenschaft anstellten. Sie verzichteten aber im Jahr 1960 auf die Rückstellung. Die Schiedsinstanz sah in dem Verkauf eines Hälfteanteils an der Liegenschaft eine Entziehung und in dem Verzicht der Sammelstellen einen Fall extremer Ungerechtigkeit im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes (EF-G). Aus diesem Grund empfahl sie die Naturalrestitution der halben Liegenschaft, soweit sie am Stichtag 17. Jänner 2001 im Eigentum der Stadtgemeinde Schwechat gestanden war.

Arthur D., der der Israelitischen Religionsgesellschaft angehörte, war am 12. März 1938 Alleineigentümer einer ehemaligen Fabriksliegenschaft in Schwechat im Ausmaß von 13.205 m². Am 14. Juni 1938 wurde die Liegenschaft in mehrere Bauparzellen unterteilt; ein Teil von 1.191 m² wurde zur Herstellung von Straßenflächen in das öffentliche Gut abgeschrieben. Am 20. Juni 1938 schlossen Arthur D. und der mit ihm befreundete Karl K. einen Vertrag, in dem Ersterer das Eigentum des Letzteren an der halben Liegenschaft anerkannte, da er insoweit lediglich als Treuhänder von Karl K. fungierte. Gleichzeitig verkaufte Arthur D. die andere Hälfte der Liegenschaft an Karl K. Mit dem größten Teil des Kaufpreises in Höhe von 4.999,24 Reichsmark wurden Schulden von Arthur D. abgedeckt, der Rest wurde ihm bar ausgezahlt. Im Kaufvertrag wurde vermerkt, dass Arthur D. Jude und Karl K. „Arier“ sei. Arthur D. und seine Frau Renée wurden am 15. Oktober 1941 von Wien ins Ghetto Litzmannstadt (polnisch: Łódź) deportiert und später ermordet. Ihrem gemeinsamen Sohn Ludwig Richard D. war 1938 die Flucht nach Palästina gelungen.

Ludwig Richard D. machte nach 1945 keine Rückstellungsansprüche hinsichtlich der Liegenschaft in Schwechat geltend. Die aufgrund des Staatsvertrags eingerichteten Sammelstellen, die während der NS-Zeit entzogenes und nach Kriegsende „erblos“ gebliebenes Vermögen beanspruchten und zugunsten von NS-Opfern verwerteten, traten Anfang des Jahres 1960 an Karl K. heran und teilten ihm mit, dass sie zur Geltendmachung von Rückstellungsansprüchen berechtigt seien, aber die Möglichkeiten für einen Vergleich ausloten wollten. Karl K.s Rechtsanwalt Dr. L. brachte daraufhin vor, dass der Verkauf der halben Liegenschaft im Juni 1938 keine Entziehung darstelle: Karl K. sei in Wirklichkeit Treugeber hinsichtlich der gesamten Liegenschaft gewesen. Sein Mandant und Arthur D. seien jahrzehntelang befreundet gewesen. Dass die Übertragung der Liegenschaft an Karl K. zum Teil in die Form eines Kaufvertrags gekleidet worden sei, habe vor allem steuerliche Gründe gehabt. Zur Vermeidung eines Rückstellungsverfahrens bot Dr. L. den Sammelstellen schließlich die Zahlung von 10.000,– Schilling an.

Die Sammelstellen verzichteten gegenüber Dr. L. am 23. November 1960 auf Rückstellungsansprüche, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten.

Die Erbin von Karl K. verkaufte die Liegenschaft 1990 der Stadtgemeinde Schwechat. In den Folgejahren wurde eine große Anzahl von Grundstücken abgeschrieben. Für sie wurden neue Einlagezahlen eröffnet, die am 17. Jänner 2001 in Privateigentum standen. Weitere Flächen wurden außerdem ins öffentliche Gut der Stadtgemeinde Schwechat abgetreten. Die verbliebene Liegenschaft stand am Stichtag ebenfalls im Eigentum der Stadtgemeinde und ist als Grünland gewidmet.

Die Schiedsinstanz sah eine Entziehung hinsichtlich eines Hälfteanteils der Liegenschaft als erwiesen an. Den von den Sammelstellen 1960 abgegebenen Verzicht beurteilte sie entgegen dem Vorbringen der AntragstellerInnen als einvernehmliche Regelung. Sie hatte daher zu prüfen, ob der Verzicht eine extreme Ungerechtigkeit dargestellt hat. Die Schiedsinstanz bejahte diese Frage: Zunächst liegt ein erhebliches Wertmissverhältnis zwischen dem Ergebnis des Verzichts und jenem eines hypothetischen Erkenntnisses der Rückstellungskommission zulasten der Sammelstellen vor. Unter Bezugnahme auf ihre Entscheidung Nr. 27/2005 gelangte die Schiedsinstanz sodann zu dem Ergebnis, dass die Sammelstellen bei ihrem Verzicht nicht so gehandelt hatten wie andere auf ihre Interessen bedachte RückstellungswerberInnen, die zumindest die von Dr. L. angebotenen 10.000,– Schilling angenommen hätten. Dies begründet zusammen mit der erheblichen Wertdifferenz die extreme Ungerechtigkeit im Sinne des EF-G.

Daher war eine Empfehlung auf Naturalrestitution auszusprechen.

Von dieser Empfehlung umfasst ist einerseits die Hälfte der heute noch bestehenden historischen Liegenschaft abzüglich jener Flächen, die erst nach der Entziehung zugeschrieben wurden. Es handelt sich dabei um eine Fläche von 2.138 m².

Andererseits wird dem Grunde nach die Naturalrestitution eines halben Anteils jener Flächen empfohlen, die aus der historischen Liegenschaft stammen, aber inzwischen ins öffentliche Gut der Stadtgemeinde Schwechat oder ins Eisenbahnbuch abgeschrieben wurden. Dabei handelt es sich um Flächen im Gesamtausmaß von 1.848 m². Eine Rückstellung in natura ist hier nicht möglich, weil sie eine Straßenanlage bzw. Bahnstrecke betreffen würde. Aus diesem Grund wird die Schiedsinstanz in einer Zusatzentscheidung einen vergleichbaren Vermögenswert als Entschädigung festsetzen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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