Entscheidung Nr. 894/2012

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Anita Ruth E., Ablehnung
Daniel E., Ablehnung
Steven E., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Sechshaus (01307), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

894/2012

Datum

17.12.2012

Gründe

Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
Keine Entziehung iSd EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 894/2012

Wien, Sechshaus
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 17. Dezember 2012 drei Anträge auf Rückstellung von im Eigentum der Stadt Wien stehenden Liegenschaftsflächen in Wien, Sechshaus abgelehnt. Die jüdische Eigentümerin der beiden Liegenschaften, zu denen die antragsgegenständlichen Flächen im Jahr 1938 gehört hatten, hatte schon vor dem „Anschluss“ eine 1931 begründete Darlehensschuld nicht zurückzahlen können, zu deren Besicherung die Liegenschaften dienten. Auf Antrag der Gläubigerin wurden die Liegenschaften 1942 zwangsversteigert. Die Schiedsinstanz gelangte nach Prüfung der Vermögensverhältnisse der früheren Eigentümerin zu dem Schluss, dass für diese im März 1938 keine reelle Aussicht bestand, ihre Schulden zu tilgen, ohne dass die Liegenschaften dafür herangezogen werden mussten. Da die Verfolgung der Eigentümerin für die Zwangsversteigerung nicht ausschlaggebend war, verneinte die Schiedsinstanz das Vorliegen einer Entziehung und lehnte die Anträge ab.

Die beantragten Grundflächen waren am 12. März 1938 auf zwei aneinander angrenzende Liegenschaften verteilt, die im Eigentum von Irma F. standen. Sie hatte die Liegenschaften 1923 gemeinsam mit ihrem Ehemann Isidor F. erworben, der auf einer Liegenschaft einen Handel mit Hadern und Knochen betrieb. Ab Anfang der 1930er-Jahre verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage seines Betriebs. Zudem wurden auf seiner Hälfte an den Liegenschaften vermehrt Hypotheken zur Besicherung von Forderungen öffentlicher GläubigerInnen einverleibt. 1934 verkaufte Isidor F. seine Hälfte an den Liegenschaften an Irma F.

Die Eheleute F. hatten 1931 bei der Sparkasse Hollabrunn ein Darlehen von 45.000,– Schilling aufgenommen und als Sicherheit die beiden Liegenschaften verpfändet. Da sie die geschuldeten Raten zur Abstattung des Kapitals und der Zinsen nicht zahlten, ließ die Sparkasse bereits 1935 die Zwangsversteigerung der Liegenschaften einleiten, die letztendlich aber nicht durchgeführt wurde.

Bis zum „Anschluss“ im März 1938 waren die Eheleute F. ihrer Zahlungsverpflichtung gegenüber der Sparkasse Hollabrunn weiterhin nur schleppend nachgekommen. Das Kapital war zur Gänze nicht zurückgezahlt, die Zinsen wurden nur partiell und verzögert bedient. Darüber hinaus waren zahlreiche Fahrnisexekutionen gegen die Eheleute F. und das Unternehmen von Isidor F. geführt worden. Auch waren die Liegenschaften weiterhin mit Pfandrechten zugunsten öffentlicher GläubigerInnen belastet.

Im September 1938 flüchteten die Eheleute F., die als Juden verfolgt wurden, mit unbekanntem Ziel aus Wien.

Ende 1940 beantragte die Sparkasse Hollabrunn neuerlich die Zwangsversteigerung beider Liegenschaften, die im Frühjahr 1942 durchgeführt wurde. Der Zuschlag wurde in beiden Fällen Grete D. erteilt, deren Ehemann seit 1939 Mieter von Betriebs- und Lagerräumlichkeiten auf den Liegenschaften war. Grete D. veräußerte unmittelbar darauf eine Liegenschaft an Leopold B. Der Irma F. zustehende Überschuss aus dem Versteigerungserlös wurde aufgrund diskriminierender Vorschriften vom Deutschen Reich eingezogen.

Isidor und Irma F. wurden 1951 für tot erklärt. Bereits 1949 hatte Peter F., ein Neffe von Isidor F., bei der Rückstellungskommission Wien die Rückstellung beider Liegenschaften beantragt. Die Anträge wurden 1952 abgelehnt, da Peter F. gemäß den Rückstellungsgesetzen nicht zur Antragstellung nach Irma F. legitimiert war. Der Verlassenschaftskurator hatte erfolglos versucht, ErbInnen nach Irma F. ausfindig zu machen.

1962 brachten die so genannten Sammelstellen, die zur Geltendmachung von Rückstellungsansprüchen berechtigt waren, Anträge auf Rückstellung der beiden Liegenschaften ein. 1964 lehnte die Rückstellungskommission Wien einen Antrag ab. Sie kam zum Schluss, dass Irma F. auch unabhängig von der NS-Machtergreifung nicht in der Lage gewesen wäre, die Forderung der Sparkasse Hollabrunn zu befriedigen und eine Zwangsversteigerung zu verhindern. Die Rückstellungsoberkommission bestätigte das erstinstanzliche Erkenntnis mit der gleichen Begründung. In der Folge zogen die Sammelstellen ihren zweiten Antrag zurück.

Beide Liegenschaften gelangten 1975 bzw. 1983 in das Eigentum der Stadt Wien. Ihre Fläche verteilte sich nach verschiedenen Ab- und Zuschreibungen am 17. Jänner 2001 auf drei Liegenschaften.

Die nunmehrigen AntragstellerInnen – RechtsnachfolgerInnen des Bruders von Irma F., der das NS-Regime in Großbritannien überlebt hatte – machten geltend, dass die Zwangsversteigerung der Liegenschaften eine Entziehung dargestellt habe.

In ihrer Entscheidung hatte die Schiedsinstanz die Frage zu klären, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Zwangsversteigerung der Liegenschaften und der Verfolgung von Irma F. als Jüdin bestand. Nach eingehender Prüfung der Vermögensverhältnisse von Irma F. kam sie dabei zu dem Schluss, dass für Irma F. bereits Anfang März 1938 keine reelle Möglichkeit bestand, ihre Schulden zu tilgen, ohne dafür ihr Liegenschaftseigentum verwerten zu müssen. Da Irma F., auch wenn sie nicht verfolgt gewesen wäre, im besten Fall weiterhin nur die Zinszahlungen hätte leisten können, hätte die Sparkasse Hollabrunn das zur Gänze offene Kapital früher oder später im Exekutionsweg eingefordert.

Da demnach die Verfolgung von Irma F. für die Zwangsversteigerung der Liegenschaften in Wien, Sechhaus nicht ausschlaggebend war, lehnte die Schiedsinstanz die Anträge auf Naturalrestitution ab.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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