Entscheidung Nr. 961/2013

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

George O., Empfehlung

Öffentliches Eigentum

Republik Österreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Trautmannsdorf (05021), Trautmannsdorf an der Leitha, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen
KG Sommerein (05019), Sommerein, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen
KG Sarasdorf (05018), Trautmannsdorf an der Leitha, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen
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Entscheidung

 

Nummer

961/2013

Datum

25.06.2013

Gründe

Rückstellung nach 1945 bereits erfolgt
Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
Keine frühere Maßnahme iSd EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Verbundene Entscheidung

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 961/2013

Niederösterreich, Sommerein
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 25. Juni 2013 die Rückstellung einer rund 2.900 Quadratmeter großen Teilfläche des im Eigentum der Republik Österreich stehenden Panzerübungsgeländes Götzendorf (Gemeinde Sommerein, Niederösterreich) empfohlen. Diese Grundfläche war in den 1950er-Jahren bereits Gegenstand eines Rückstellungsverfahrens gewesen, in dem der Antrag des Erben der früheren Eigentümerin abgelehnt worden war. Da es sich jedoch beim Verkauf der Liegenschaft 1939 um einen verfolgungsbedingten Entzug gehandelt hatte, konnte die Schiedsinstanz mit Rücksicht auf den Zweck des Entschädigungsfondsgesetzes (EF-G), offene Vermögensfragen zu regeln, eine Empfehlung auf Rückstellung aussprechen.

Olga O. besaß im Jahr 1938 landwirtschaftliche Liegenschaften im Ausmaß von rund 26 Hektar in den Gemeinden Sarasdorf, Sommerein und Trautmannsdorf im Bezirk Bruck an der Leitha. Bald nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich begannen Planungen der deutschen Wehrmacht, unter anderem das gesamte Gemeindegebiet von Sommerein in den Truppenübungsplatz Bruck an der Leitha einzubeziehen und alle BewohnerInnen abzusiedeln. Im Juni 1939 musste Olga O., die als Jüdin im Sinne der Nürnberger Gesetze von 1935 galt, sämtliche ihr gehörenden Acker- und Wiesenflächen an das Deutsche Reich verkaufen. Darunter befanden sich zwei Grundstücke in Sommerein. Die übrigen Grundstücke wurden als Ersatzland an Privatpersonen aus Trautmannsdorf weiterverkauft, die selbst Grundstücke in Sommerein besessen hatten und sie dem Deutschen Reich verkaufen mussten.

Für diese Ersatzgrundstücke, für die Olga O. 32.580,– Reichsmark erhalten hatte, erzielte das Deutsche Reich einen Verkaufspreis von 47.840,– Reichsmark. Auch für die beiden Grundstücke in Sommerein erhielt Olga O. um rund ein Drittel weniger als VerkäuferInnen benachbarter Grundstücke, die nicht vom NS-Regime verfolgt wurden. Die Absiedlung der Bevölkerung Sommereins wurde bis Kriegsende nicht abgeschlossen: Etwa ein Drittel der BewohnerInnen blieb im Ort, mindestens 16 Familien konnten auch ihr Liegenschaftseigentum behalten.

Olga O. wurde im September 1942 in die Vernichtungsstätte Maly Trostinec bei Minsk deportiert und ermordet.

Nach Kriegsende wurde das Gebiet von Sommerein als „Deutsches Eigentum“ von der sowjetischen Besatzungsmacht beansprucht. Häuser und landwirtschaftliche Flächen wurden von dieser verpachtet. Mit dem Staatsvertrag von Wien 1955 ging das Eigentum an die Republik Österreich über. Diese verkaufte ab Anfang der 1960er-Jahre die Liegenschaften im Rahmen eines Siedlungsverfahrens, darunter auch ein Grundstück, das einst Olga O. gehört hatte. Das zweite Grundstück wurde in das 1957 geschaffene Panzerübungsgelände Götzendorf einbezogen und blieb im Eigentum der Republik.

Der Sohn Olga O.s, Dr. Hans O., der mit seiner Familie 1938 aus Österreich geflüchtet war und den Zweiten Weltkrieg in Großbritannien überlebt hatte, hatte 1948 Rückstellungsverfahren eingeleitet. Im Jahr 1950 hatte er nach einem Vergleich mit den KäuferInnen die Grundstücke in Sarasdorf und Trautmannsdorf zurückgestellt bekommen.

Das Verfahren über die beiden Grundstücke in Sommerein war jedoch bis 1955 unterbrochen gewesen, da die österreichischen Gerichte eine Verhandlung über Rückstellungsansprüche auf Vermögen, das von den Alliierten als „Deutsches Eigentum“ beansprucht wurde, ablehnten. Im Jahr 1959 hatte die zuständige Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (FLD) den Antrag abgelehnt. Dieser Bescheid wurde nach einer Berufung durch das Bundesministerium für Finanzen aufgehoben; Anfang 1960 lehnte die FLD den Antrag neuerlich ab. Sie stützte sich dabei auf das drei Jahre zuvor in Kraft getretene 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetz, wonach Erwerbungen für militärische Zwecke nur dann einen Entzug darstellten, wenn „im Einzelfall die damals geltenden Gesetze mißbräuchlich angewendet worden sind oder der Eigentümer lediglich auf Grund politischer Verfolgung zur Veräußerung genötigt worden ist.“ Nach Ansicht der FLD sei dies jedoch bei Olga O. nicht der Fall gewesen, da auch die übrigen BewohnerInnen Sommereins zum Verkauf genötigt gewesen seien.

In ihrer rechtlichen Beurteilung kam die Schiedsinstanz zu dem Schluss, dass es sich bei dem zwangsweisen Verkauf der Liegenschaften Olga O.s im Jahr 1939 um einen Entzug aus Verfolgungsgründen im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes handelte: Der Zwang, an die Wehrmacht zu verkaufen, bestand zwar für alle GrundeigentümerInnen in Sommerein, die Situation Olga O.s war jedoch maßgeblich davon geprägt, dass sie als Jüdin vom NS-Regime verfolgt war. Sie hatte keine Möglichkeit, mit der Wehrmacht zu verhandeln oder sich auf ein gesetzliches Enteignungsverfahren einzulassen, in dem ihre Rechte gewahrt gewesen wären. Zudem hatte sie – anders als die meisten anderen VerkäuferInnen – keine Verfügungsgewalt über den Kaufpreis, der um rund ein Drittel niedriger lag als bei nicht verfolgten Personen.

Die Ablehnung des Rückstellungsantrags durch die FLD im Jahr 1960 stellte zwar keine „extreme Ungerechtigkeit“ im Sinne des EF-G dar, da die Begründung der Behörde der damaligen Gesetzeslage entsprach. Allerdings zeigte sich bei der Prüfung durch die Schiedsinstanz, dass dem engen Entzugsbegriff des Staatsvertragsdurchführungsgesetzes durch den umfassenderen des EF-G aus 2001 derogiert wurde. Da der Entzugsbegriff des 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes damit außer Kraft gesetzt ist, konnte der auf Grundlage dieses Gesetzes ergangene Bescheid der FLD unbeachtlich bleiben. Mit Rücksicht auf den Zweck des EF-G, offene Vermögensfragen zu regeln, empfahl die Schiedsinstanz die Rückstellung.

Vom einstigen Grundbesitz Olga O.s befand sich am 17. Jänner 2001, dem Stichtag des EF-G, eine Fläche von rund 2.870 m² im öffentlichen Eigentum, die in das Panzerübungsgelände einbezogen worden war. Da dieses weiterhin als Übungsgelände vom österreichischen Bundesheer genutzt wird, kommt eine tatsächliche Rückgabe nicht in Betracht. Die Schiedsinstanz wird der Republik Österreich daher empfehlen, dem Antragsteller, einem Enkel Olga O.s, einen vergleichbaren Vermögenswert zuzusprechen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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