Allgemeiner Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus aufgelöst
In seiner heutigen Sitzung stellte das Kuratorium des Allgemeinen Entschädigungsfonds mit Beschluss fest, dass der Fonds seine Aufgaben vollständig erfüllt hat. Damit gilt der Fonds gemäß Entschädigungsfondsgesetz per 26. April 2022 als aufgelöst.
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Vorsitzender des Kuratoriums des Allgemeinen Entschädigungsfonds, dankte den Mitgliedern der beiden Entscheidungsgremien des Fonds für ihre langjährige ehrenamtliche Tätigkeit und würdigte die geleistete Arbeit: „Mit der Auflösung des Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus ist eines der größten Projekte der Zweiten Republik zur Restitution und Entschädigung nationalsozialistischen Vermögensentzuges abgeschlossen.“
Der Allgemeine Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus wurde 2001 auf Basis des Washingtoner Abkommens zwischen Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika eingerichtet. Er hatte die Aufgabe, die moralische Verantwortung für Vermögensverluste, die Verfolgte des NS-Regimes in Österreich erlitten haben, durch freiwillige Leistungen anzuerkennen.
Die Antragsfrist für Geldleistungen des Entschädigungsfonds endete am 28. Mai 2003. Antragsberechtigt waren persönlich von der NS-Vermögensentziehung betroffene Personen sowie deren RechtsnachfolgerInnen. Von insgesamt 20.702 Personen stellten 9.650 (47 %) als ErbInnen von Verfolgten und 11.052 (53 %) auch für eigene Verluste einen Antrag. Die Anträge wurden durch das unabhängige Antragskomitee unter dem Vorsitz von Sir Franklin Berman und den Mitgliedern Kurt Hofmann und G. Jonathan Greenwald entschieden.
Diese Leistungen waren nicht pauschaliert, sondern an der Höhe der individuell festgestellten Vermögensverluste bemessen. Die Auszahlungen erfolgten im Verhältnis zur verfügbaren Gesamtsumme des Fonds (pro-rata-Zahlungen).
Das Antragskomitee anerkannte individuelle Forderungen in Höhe von insgesamt rund 1,6 Milliarden US-Dollar – davon 32 % für berufs- und ausbildungsbezogene Verluste, 22 % für liquidierte Betriebe und 15 % für Aktien; der Rest verteilte sich auf die übrigen Verlustkategorien Bankkonten, Versicherungspolizzen, Immobilien, bewegliches Vermögen, Schuldverschreibungen, Hypotheken sowie sonstige Verluste und Schäden.
In Summe leistete der Entschädigungsfonds rund 215 Millionen US-Dollar an rund 25.000 Begünstigte.
Beim Allgemeinen Entschädigungsfonds war zudem die Schiedsinstanz für Naturalrestitution unter dem Vorsitz von Josef Aicher sowie mit den Mitgliedern August Reinisch und Erich Kussbach eingerichtet, die über Anträge auf Restitution von öffentlichem Eigentum entschied. Für eine Rückstellung kamen Liegenschaften, Superädifikate oder bewegliche Vermögenswerte jüdischer Gemeinschaftsorganisationen in Frage, die während der NS-Zeit ihren EigentümerInnen entzogen worden waren und zum gesetzlichen Stichtag, dem 17. Jänner 2001, im Eigentum des Bundes oder jener Länder und Gemeinden standen, die sich dem Verfahren der Schiedsinstanz angeschlossen hatten.
Bei der Schiedsinstanz langten insgesamt 2.307 Anträge ein, von denen 140 die Voraussetzungen des Entschädigungsfondsgesetzes für eine Naturalrestitution erfüllten. Sämtliche Empfehlungen der Schiedsinstanz wurden durch die öffentlichen EigentümerInnen umgesetzt. Der Gesamtwert der zur Rückstellung empfohlenen Vermögenswerte beläuft sich auf geschätzte 48 Millionen Euro, davon wurden 9,8 Millionen Euro als vergleichbarer Vermögenswert ausbezahlt. Die Antragsbearbeitung wurde am 30. November 2018 abgeschlossen, die letzte Frist für Anträge auf Wiederaufnahme von Verfahren lief Ende August 2020 ab.
Sowohl beim Antragskomitee als auch bei der Schiedsinstanz waren frühere Entschädigungs- und Rückstellungsmaßnahmen zu berücksichtigen: Waren entsprechende Forderungen bereits durch österreichische Gerichte oder Verwaltungsbehörden endgültig entschieden oder einvernehmlich geregelt worden, konnte eine Leistung nur erfolgen, wenn Antragskomitee bzw. Schiedsinstanz zur Auffassung gelangten, dass die jeweilige Entscheidung oder einvernehmliche Regelung eine „extreme Ungerechtigkeit“ dargestellt hatte.
Nach Erfüllung ihrer Aufgaben wurden das Antragskomitee 2017 und die Schiedsinstanz 2021 aufgelöst. Im Hinblick auf die Erfassung, Bewahrung und Vermittlung der Erkenntnisse und des historischen Wissens, die die zwanzigjährige Arbeit des Entschädigungsfonds hervorgebracht hat, hielt das Kuratorium, dem neben dem Präsidium des Nationalrates VertreterInnen aller Parlamentsparteien und der Bundesregierung, Opferverbände und RepräsentantInnen der Religionsgemeinschaften angehören, fest, dass diese Aufgaben durch das Nationalfondsgesetz dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus übertragen sind.
Generalsekretärin Hannah Lessing sprach den MitarbeiterInnen des Entschädigungsfonds ihren Dank für das langjährige Engagement aus und betonte: „Die Arbeit des Allgemeinen Entschädigungsfonds hat, über die geleisteten Entschädigungen und Restitutionen hinaus, Bedeutung für das historische Selbstverständnis Österreichs. Der Nationalfonds versteht dies als Vermächtnis, das es weiterzutragen gilt.“