Entscheidung Nr. 27/2005

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Doris A., Empfehlung
Christopher C. A., Empfehlung
Richard A. A., Empfehlung
Andrew Charles Albert G., Empfehlung
Stephan Louis Gerald G., Empfehlung
Marietta P., Empfehlung
Robert B. R., Empfehlung
Marion E. R., Empfehlung
Alfred S., Empfehlung

Öffentliches Eigentum

Republik Österreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Josefstadt (01005), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

27/2005

Datum

15.11.2005

Grund

"Extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

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Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 27/2005

Wien, Josefstadt
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 15. November 2005 die Rückstellung einer im Eigentum der Republik Österreich stehenden Liegenschaft in Wien, Josefstadt dem zuständigen Bundesminister empfohlen. Denn der Vergleich zwischen der Republik und den Sammelstellen im Jahre 1966 war extrem ungerecht.
Gegenstand des Verfahrens ist ein ehemaliges Sanatorium im achten Wiener Gemeindebezirk. Dr. L. F. übernahm das vor der Jahrhundertwende als Heilanstalt errichtete Gebäude von seinem Vater im Jahr 1925 und führte den prominenten Sanatoriumsbetrieb weiter. Im April des Jahres 1938 fielen Dr. L. F. ebenso wie seine Frau – beide aus jüdischen Familien stammend – antisemitischen Aktionen der Nationalsozialisten zum Opfer. Die Betriebsführung wurde Dr. F. aus der Hand genommen und von einem NSDAP-Mitglied als "kommissarischen Leiter“ ausgeübt. Am 3. April 1938 nahmen sich die Eheleute das Leben.

Alle in Frage kommenden erbberechtigten Verwandten des kinderlosen Ehepaares galten nach den nationalsozialistischen Gesetzen als Juden. Ihr Vermögen unterlag diskriminierenden Maßnahmen und wurde sukzessive entzogen. Einigen Familienmitgliedern gelang die Flucht ins Ausland, andere wurden deportiert und kamen ums Leben.

Der mangels Erben eingesetzte Verlassenschaftskurator verkaufte die Liegenschaft, die schon seit Mai 1938 von der Wehrersatzinspektion genutzt worden war, im März 1939 an die Deutsche Wehrmacht. Die Kaufsumme von 310.000,- Reichsmark diente vor allem der Deckung von Schulden des Nachlasses.

Nach Kriegsende wurde das Gebäude von den amerikanischen Besatzungsbehörden beschlagnahmt. Das Eigentum daran ging mit dem Staatsvertrag 1955 auf die Republik Österreich über. US-amerikanische Institutionen sind bis heute eingemietet. Die Rückstellung des Gebäudes wurde 1946 zunächst von einem Vermächtnisnehmer nach Dr. L. F. begehrt. Die Oberste Rückstellungskommission verneinte 1952 aufgrund des enggefassten Erbenkreises der Rückstellungsgesetze dessen Antragsberechtigung.

1960 brachten die Sammelstellen, die in Umsetzung des Staatsvertrages als Auffangorganisation für erbloses Vermögen im Jahr 1957 geschaffen worden waren, einen Antrag auf Rückstellung der Liegenschaft ein. Deren Wert betrug laut damaligen Sachverständigengutachten über 6 Millionen Schilling. Nach längerem Verfahren einigten sich die Republik Österreich und die Sammelstellen im Dezember 1965 auf eine Abfindung für die Liegenschaft in Höhe von 700.000 Schilling. Dieser Vergleich erfolgte im Rahmen eines Generalvergleichs von insgesamt 22.700.000,- Schilling über die Ansprüche der Sammelstellen gegen den Bund auf Rückstellung von erblos gebliebenen Vermögen, die durch den Nationalsozialismus verfolgten Personen gehört hatten. Der Vergleich zwischen der Republik Österreich und den Sammelstellen wurde durch Erlassung des Sammelstellen-Abgeltungsgesetzes vom 7. Juli 1966 auch gesetzlich verankert.

Im gegenständlichen Verfahren bejahte die Schiedsinstanz den Entzug trotz vorhandener Schulden des Verstorbenen, da die berechtigten gesetzlichen Erben des Verstorbenen alle als Juden verfolgt waren und keine Möglichkeit hatten, die Erbschaft anzutreten und damit die Liegenschaft zu erwerben.

Weiters entschied die Schiedsinstanz, dass die von den Sammelstellen geführten Rückstellungsverfahren „frühere Maßnahmen“ im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes darstellen, die an sich eine Empfehlung der Rückstellung durch die Schiedsinstanz ausschließen.

Sie betrachtete den im Sammelstellen-Abgeltungsgesetz enthaltenen Pauschalvergleich jedoch als einen Ausnahmefall einer früheren Maßnahme. In Folge der Generalbereinigung der Ansprüche der Sammelstelle gegen die Republik seien nämlich zum Abschluss des Vergleichs über die Liegenschaft in der Josefstadt und zu dessen inhaltlicher Ausgestaltung Überlegungen eingeflossen, die in keinem Zusammenhang mit dem Rückstellungsanspruch gestanden hatten und bei einem auf seine Interessen bedachten Rückstellungswerber nicht zum Tragen gekommen wären. So stand im Vordergrund der Verhandlungen die zügige Auflösung der Sammelstellen, deren Ansprüche gegen die Republik ohne „langwierige und kostspielige Verfahren“ abgefunden werden sollten. Nachdem die Generalbereinigung in Aussicht gestellt worden war, wurde die Forderung für die gegenständliche Liegenschaft von den Sammelstellen nicht mehr mit dem notwendigen Nachdruck betrieben. Die Schiedsinstanz erblickte daher im Sammelstellen-Vergleich hinsichtlich des Anspruchs auf das ehemalige Sanatorium eine Unzulänglichkeit und sah dies als einen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer „extremen Ungerechtigkeit“.

Ein weiterer Anhaltspunkt war die Differenz zwischen dem Wert der Liegenschaft von über 6 Millionen Schilling und der Vergleichssumme von 700.000,- Schilling. Nach Ansicht der Schiedsinstanz begründet diese Wertdifferenz für sich genommen zwar nicht das Vorliegen einer extremen Ungerechtigkeit, kann aber als ein Indiz für eine solche gewertet werden. Dafür sei jedoch Voraussetzung, dass die Rückstellungsbehörde den Rückstellungsanspruch auf die gegenständliche Liegenschaft bei korrekter Gesetzesanwendung bejahen hätte müssen.

Die Schiedsinstanz geht davon aus, dass die FLD (Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland) als Rückstellungsbehörde nach der damaligen Judikatur die Rückstellung der Liegenschaft hätte aussprechen müssen, da die strittige Kernfrage des Verfahrens, ob eine Entziehung der Liegenschaft im Sinne der Rückstellungsgesetze vorlag, aufgrund der Verfolgung der Erben des Dr. F. von der FLD zu bejahen gewesen wäre. Tatsächlich aber schätzte die FLD den Rückstellungsanspruch auf die gegenständliche Liegenschaft negativ ein. Da diese drohende Ablehnung durch die FLD wesentlich den Abschluss des Vergleiches zum Nachteil der damaligen Antragstellerin, der Sammelstelle, beeinflusste, geriet eine objektiv unvertretbare Auslegung der Rückstellungsgesetze zur Grundlage des Vergleiches.

Die Schiedsinstanz sprach daher aus, dass die eklatante Wertdifferenz zwischen einer korrekten hypothetischen Rückstellungsentscheidung und der erzielten Vergleichssumme im Zusammenspiel mit der markant abweichenden Interessenlage der Sammelstelle gemessen an den Interessen eines Rückstellungswerbers für das Vorliegen einer extremen Ungerechtigkeit des gegenständlichen Vergleichs spreche.
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