Entscheidung Nr. 204/2006

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Irene d., Ablehnung
Erwin F., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Republik Österreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Obersievering (01509), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

204/2006

Datum

12.07.2006

Grund

Keine "extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

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Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 204/2006

Wien, Döbling

Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 12. Juli 2006 einen Antrag auf Restitution einer Liegenschaft in Wien/Döbling, die zum Stichtag 17. Jänner 2001 der Republik Österreich gehörte, abgelehnt. Die Liegenschaft war bereits Gegenstand eines Rückstellungsverfahrens gewesen, das 1953 mit einem Vergleich beendet wurde. Darin verzichteten die vormaligen EigentümerInnen gegen Zahlung eines Betrages auf die Rückstellung. Nach dem Entschädigungsfondsgesetz ist die Schiedsinstanz nur in besonderen Ausnahmefällen berechtigt, von früheren Vergleichen abzuweichen. Ein solcher Ausnahmefall lag nach Ansicht der Schiedsinstanz nicht vor.

Die 35.438 m² große, mit zwei Villen bebaute Liegenschaft befand sich 1938 zur Hälfte im Eigentum von Maria R., der als „arisch“ geltenden Witwe des 1935 verstorbenen jüdischen Bankiers Hans R. Die zweite Hälfte gehörte ihrer jüdischen Schwägerin Emma S.-S. und wurde nach deren Tod im Jahr 1939 dem Sohn von Maria R. und Hans R., Erwin R., übertragen. Erwin R. galt als „Mischling 1. Grades“. Maria R. und Erwin R., die beide liechtensteinische Staatsbürger waren, emigrierten 1938 ins Ausland. Teile der nur während der Sommermonate von der Familie R. verwendeten Liegenschaft wurden im Herbst 1938 vom Reichsstatthalter in Österreich dem Reichsarbeitsdienst zur Benützung zugewiesen. 1941 verkauften Maria R. und Erwin R. die Liegenschaft um 240.000,- Reichsmark an die Deutsche Reichspost. Eine besondere Genehmigung durch NS-Behörden war für diesen Verkauf nicht notwendig. Beträchtliche Teile des Kaufpreises verwendeten Maria R. und Erwin R. zur Abdeckung diverser Steuerschulden.

Im Juni 1949 verlangten Maria R. und Erwin R. die Rückstellung der Liegenschaft vom Deutschen Reich vor der Rückstellungskommission Wien. Ab Oktober 1951 fanden zwischen Maria R. und Erwin R. und der österreichischen Postverwaltung, die großes Interesse an der Liegenschaft zeigte, Gespräche über den Erwerb der Liegenschaft und die Beilegung des Rückstellungsverfahrens statt. Im Februar 1953 wurde eine Einigung erzielt: Maria R. und Erwin R. erklärten sich bereit, gegen eine Zahlung von 300.000,- Schilling den Rückstellungsantrag zurückzuziehen und die Liegenschaft der Postverwaltung zu überlassen. Das Eigentum an der Liegenschaft fiel der Republik Österreich schließlich mit dem Staatsvertrag im Jahr 1955 zu.

Die Schiedsinstanz musste sich zunächst eingehend mit dem Tatbestand der Vermögensentziehung nach dem Entschädigungsfondsgesetz auseinandersetzen, da insbesondere Maria R., die als „Arierin“ galt, nicht per se als vom NS-Regime Verfolgte anzusehen ist und auch eine direkte Einflussnahme von NS-Behörden auf den damaligen Verkauf nicht vorlag. Nach Ansicht der Schiedsinstanz war allerdings ein der Transaktion vorangehendes, von antisemitischen Einstellungen der Finanzbehörde geprägtes Steuerverfahren gegen Maria R. und Erwin R. kausal für den Verkauf der Liegenschaft geworden. Nach den gesetzlichen Vorgaben war das Vorliegen einer Vermögensentziehung somit zu bejahen.

Da ein Aufrollen von durch Vergleich beendeten Fällen nach dem Entschädigungsfondsgesetz allerdings nur in Ausnahmefällen möglich ist, musste sich die Schiedsinstanz auch im Detail mit dem Rückstellungsverfahren befassen. Im konkreten Fall fanden sich allerdings keine Anhaltspunkte, die zu einer Neubewertung des Vergleiches hätten Anlass geben können. Da bei einer Rückstellung der Liegenschaft der Kaufpreis von 240.000,- Reichsmark (=Schilling) zurückgezahlt hätte werden müssen, erschien der von Maria R. und Erwin R. erzielte Vergleichsbetrag von 300.000,- Schilling – bei einem damaligen Liegenschaftswert von ca. 600.000,- Schilling – angemessen. Zudem waren Maria R. und Erwin R. an einer physischen Rückstellung der Liegenschaft nicht interessiert. Der abgeschlossene Vergleich war somit nicht als extrem ungerecht einzustufen. Die Schiedsinstanz lehnte daher eine Rückgabe der beantragten Liegenschaft ab.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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