Entscheidung Nr. 737/2011

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Elizabeth Ann D., Empfehlung
Louise Josephine H., Ablehnung
Christopher R., Ablehnung
Phyllis Joan R., Empfehlung
Stephen R., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Land Niederösterreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Sommerein (05019), Sommerein, Niederösterreich | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

737/2011

Datum

02.03.2011

Gründe

Keine Rechtsnachfolge
Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
Keine frühere Maßnahme iSd EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Verbundene Entscheidung

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 737/2011

Niederösterreich, Sommerein
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 2. März 2011 den Anspruch auf Rückstellung einer im Eigentum des Landes Niederösterreich stehenden Grundfläche in Sommerein, Bezirk Bruck an der Leitha bejaht. Die Liegenschaft, aus der diese Teilfläche ursprünglich stammte, war in den 1950er Jahren bereits Gegenstand eines Rückstellungsverfahrens gewesen, in dem der Anspruch der Erben der früheren Eigentümerin abgelehnt worden war. Da es sich jedoch beim Verkauf der Liegenschaft 1940 eindeutig um einen verfolgungsbedingten Entzug handelte, konnte die Schiedsinstanz mit Rücksicht auf den allgemeinen Zweck des Entschädigungsfondsgesetzes, offene Vermögensfragen zu regeln, eine Empfehlung auf Rückstellung aussprechen.

Rosa H. besaß 1938 zwei Grundstücke in Sommerein, Niederösterreich. Da sie Jüdin war, wurde sie im September 1938 aus Sommerein weggewiesen und ihr Gemischtwarenhandel beschlagnahmt. Gemeinsam mit ihrem Ehemann wurde Rosa H. Anfang 1942 von Wien nach Riga deportiert und ermordet.

Ihren Liegenschaftsbesitz hatte Rosa H. im Jahr 1940 an die Deutsche Wehrmacht verkaufen müssen. Diese plante, das Gemeindegebiet von Sommerein in den Truppenübungsplatz Bruck an der Leitha einzubeziehen und alle BewohnerInnen abzusiedeln, was jedoch bis Kriegsende nicht abgeschlossen wurde: etwa ein Drittel der BewohnerInnen blieb im Ort, mindestens 16 Familien konnten auch ihr Liegenschaftseigentum behalten.

Nach Kriegsende wurde das Gebiet von Sommerein als „Deutsches Eigentum“ von der sowjetischen Besatzungsmacht beansprucht, Häuser und landwirtschaftliche Flächen wurden verpachtet. Mit dem Staatsvertrag von Wien 1955 ging das Eigentum an die Republik Österreich über. Diese verkaufte ab Anfang der 1960er Jahre die Liegenschaften im Rahmen eines Siedlungsverfahrens, darunter auch die beiden Grundstücke, die einst Rosa H. gehört hatten.

Ludwig und William R., zwei Neffen Rosa H.s, die 1938 nach Neuseeland geflüchtet waren, hatten 1948 ein Rückstellungsverfahren eingeleitet. Da die österreichischen Gerichte eine Verhandlung über Rückstellungsansprüche an Vermögen, das von den Alliierten als „Deutsches Eigentum“ beansprucht wurde, ablehnten, war das Verfahren bis 1955 unterbrochen gewesen. Im Jahr 1958 hatte die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (FLD) den Antrag schließlich abgelehnt und sich auf das ein Jahr zuvor in Kraft getretene 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetz gestützt, wonach Erwerbungen für militärische Zwecke nur dann einen Entzug darstellten, wenn „im Einzelfall die damals geltenden Gesetze mißbräuchlich angewendet worden sind oder der Eigentümer lediglich auf Grund politischer Verfolgung zur Veräußerung genötigt worden ist.“ Nach Ansicht der FLD sei dies jedoch bei Rosa H. nicht der Fall gewesen, da auch die übrigen BewohnerInnen Sommereins zum Verkauf genötigt gewesen seien.

In der rechtlichen Beurteilung des Falles kam die Schiedsinstanz zunächst zu dem Schluss, dass es sich bei dem zwangsweisen Verkauf der Liegenschaft Rosa H.s im Jahr 1940 um einen Entzug aus Verfolgungsgründen im Sinne des Entschädigungsfondsgesetzes handelte: Der Zwang, an die Wehrmacht zu verkaufen, bestand zwar für alle BewohnerInnen Sommereins, die Situation Rosa H.s war jedoch maßgeblich davon geprägt, dass sie als Jüdin vom NS-Regime verfolgt war. Sie hatte keine Möglichkeit, mit der Wehrmacht zu verhandeln oder durch einen Einspruch ihr Eigentum zu behalten, und zudem – anders als die meisten anderen VerkäuferInnen – keine Verfügungsgewalt über den Kaufpreis.

Die Ablehnung des Rückstellungsantrags William und Ludwig R.s durch die FLD stellte zwar keine „extreme Ungerechtigkeit“ im Sinne des EF-G dar, da die Begründung der Behörde der damaligen Gesetzeslage entsprach. Allerdings zeigte sich bei der Prüfung durch die Schiedsinstanz, dass dem engen Entzugsbegriff des Artikel 1 § 1 des 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes durch den umfassenden Entzugsbegriff des später erlassenen § 28 des Entschädigungsfondsgesetzes derogiert wurde. Da der Entzugsbegriff des 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes damit außer Kraft gesetzt ist, konnte der auf Grundlage dieses Gesetzes ergangene Bescheid der FLD unbeachtlich bleiben. Mit Rücksicht auf den allgemeinen Zweck des Entschädigungsfondsgesetzes, offene Vermögensfragen zu regeln, empfahl die Schiedsinstanz die Rückstellung.

Von den rund 3.550 m² Grund, die bis 1940 im Eigentum Rosa H.s gestanden waren, befand sich am 17. Jänner 2001, dem Stichtag des EF-G, nur ein kleiner Teil im öffentlichen Eigentum: Ende der 1960er Jahre war eine Teilfläche von 335 m² in eine Landesstraße einbezogen worden, davon wurde 1997 wiederum etwa ein Drittel abgetrennt und der Gemeinde Sommerein übertragen. Da die im Landeseigentum verbliebene Fläche auch heute noch als Straße genutzt wird, kommt eine tatsächliche Rückgabe nicht in Betracht. Die Schiedsinstanz wird dem Land Niederösterreich daher empfehlen, den Antragstellerinnen, zwei Erbinnen nach William und Ludwig R., den Verkehrswert zu vergüten.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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