Entscheidung Nr. 88/2006

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Maria V. A., Empfehlung

Öffentliches Eigentum

Republik Österreich

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Innere Stadt (01004), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen

Entscheidung

 

Nummer

88/2006

Datum

20.03.2006

Grund

"Extreme Ungerechtigkeit" iSd § 32 Abs 2 Z 1 EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

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Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 88/2006

Wien, Innere Stadt
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 20. März 2006 die Rückstellung eines Viertelanteils an einer der Republik Österreich gehörenden Liegenschaft in Wien, Innere Stadt, empfohlen. Die Liegenschaft war bereits Gegenstand eines früheren Verfahrens gewesen, jedoch stellt der damals abgeschlossene Vergleich nach Ansicht der Schiedsinstanz eine „extreme Ungerechtigkeit“ dar.
Die beantragte Liegenschaft befand sich 1938 im Eigentum des jüdischen Großindustriellen und Kunstmäzens F. B.-B., der auch Präsident des Verwaltungsrats der „Österreichischen Zuckerindustrie-Aktiengesellschaft“ (ÖZAG) war. F. B.-B. verließ Österreich kurz vor dem 13. März 1938 und emigrierte in die Schweiz. Im Zuge eines unmittelbar nach dem „Anschluss“ eingeleiteten Steuerstrafverfahrens gegen die ÖZAG und ihre Funktionäre musste er sein gesamtes Vermögen veräußern, um die ihm angelasteten Steuerschulden begleichen zu können. Die Liegenschaft wurde um 250.000,- Reichsmark vom Deutschen Reich für die Reichseisenbahnen erworben, F. B.-B.s Aktien der ÖZAG vom deutschen Industriellen C. A. Eine Reststeuerforderung von rund 300.000,- Reichsmark blieb auch nach Verkauf und Versteigerung der Kunstsammlungen F. B.-B.s noch offen.

1947 beantragten die Erben nach F. B.-B., der Ende 1945 in der Schweiz verstorben war, die Rückstellung der Liegenschaft, die mittlerweile von den Österreichischen Bundesbahnen genutzt wurde. Die Rückstellungskommission Wien entschied 1950, dass vorbehaltlich der Zustimmung der Besatzungsmächte die Liegenschaft zurückzustellen sei. Da diese Zustimmung nicht erlangt wurde, konnte das Verfahren erst 1955 fortgesetzt werden. 1949 war auch ein Rückstellungsverfahren auf Feststellung der Anteilsrechte an der ehemaligen ÖZAG und auf deren Wiedererrichtung eingeleitet worden. Beide Verfahren wurden schließlich 1956 auf Anregung der Republik Österreich gemeinsam verglichen und die zu diesem Zeitpunkt bereits verjährte Steuerforderung von ehemals 300.000,- Reichsmark in den Vergleich mit der Republik Österreich mitaufgenommen. Die Erben nach F. B.-B. zogen ihren Antrag auf Rückstellung der Liegenschaft zurück und bezahlten an die Republik Österreich einen Betrag von 1,5 Millionen Schilling, womit auch der Steuerrückstand beglichen war; die Republik Österreich zog ihrerseits alle Ansprüche an der ÖZAG zurück, wodurch die AG wiedererrichtet werden konnte.

Die Schiedsinstanz hatte zu prüfen, ob der 1956 abgeschlossene Vergleich eine „extreme Ungerechtigkeit“ iSd § 32 Entschädigungsfondsgesetz darstellt. In den Vergleichsverhandlungen nützte die Republik Österreich die Möglichkeit, Druck auf die Rückstellungswerber auszuüben. Insbesondere wurden über das Verfahren zur ÖZAG die Rückstellungswerber zu einem für die Republik Österreich günstigen Vergleich bewegt. Überdies ging die Republik Österreich im Vergleich davon aus, dass die Rückstellung der Liegenschaft unsicher sei, obwohl mit einer sicheren Rückgabe im Rückstellungsverfahren zu rechnen war. Da die Mieterträgnisse nicht eingerechnet und bereits verjährte Steuerschulden in den Vergleich aufgenommen wurden, stellt die Schiedsinstanz fest, dass der Vergleichsbetrag weit unter jenem Wert lag, der den Rückstellungswerbern von der Rückstellungskommission zugesprochen worden wäre. Unter diesen Gesichtspunkten war der Vergleich als „extrem ungerecht“ einzustufen.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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