Geschäfts- und Verfahrensordnung der Schiedsinstanz für Naturalrestitution

Beschlossen am 11. April 2002, in der "Wiener Zeitung" veröffentlicht am 23/24. August 2002. Geändert am 22. Jänner 2007 und am 21. Jänner 2008. Veröffentlichung der Änderungen am 31. Jänner 2007 (21a) und am 2. April 2008 (16a). Die Änderungen im Text sind in kursiver Schrift dargestellt.

I. Abschnitt - Einrichtung und Mitglieder

§ 1 Sitz

Die Schiedsinstanz ist beim Allgemeinen Entschädigungsfonds mit Sitz in Wien eingerichtet.

§ 2 Mitglieder

Die Schiedsinstanz besteht aus je einem von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika und einem von der Österreichischen Bundesregierung bestimmten Mitglied und dem von diesen Mitgliedern gewählten Vorsitzenden.

§ 3 Funktionsdauer

Die Mitglieder sind auf die Dauer der Tätigkeit der Schiedsinstanz bestellt.

§ 4 Weisungsfreiheit

Die Schiedsinstanz und deren Mitglieder sind in Ausübung ihrer Funktion unabhängig und an keine Weisung gebunden.

§ 5 Beendigung der Mitgliedschaft

Die Mitgliedschaft endet durch Rücktritt, Tod oder andauernde Verhinderung.

§ 6 Verschwiegenheitspflicht

Die Mitglieder der Schiedsinstanz sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Insbesondere sind personenbezogene Daten, die den Mitgliedern aus deren Tätigkeit bekannt geworden sind, geheim zu halten.

§ 7 Befangenheit

Gibt ein Mitglied seine etwaige Befangenheit bekannt oder macht ein Beteiligter die Befangenheit eines Mitglieds geltend, befinden darüber die beiden anderen Mitglieder. Ist ein Mitglied der Schiedsinstanz befangen, hat es sich der Ausübung seines Amtes zu enthalten.

II. Abschnitt - Aufgaben der Schiedsinstanz

§ 8 Aufgaben

(1) Die Schiedsinstanz prüft und entscheidet über rechtzeitige Anträge (§ 29 EntschädigungsfondsG) antragsberechtigter Personen und Vereinigungen (§ 27 EntschädigungsfondsG) in Form einer Empfehlung auf Naturalrestitution öffentlichen Vermögens (§ 28 EntschädigungsfondsG) oder auf Zuspruch eines vergleichbaren Vermögenswertes an den zuständigen Bundesminister, oder sie lehnt den Antrag ab (§ 34 EntschädigungsfondsG).
(2) Empfehlungen und Ablehnungen sind zu begründen.
(3) Die Schiedsinstanz veröffentlicht ihre begründeten Empfehlungen auf der Homepage des Allgemeinen Entschädigungsfonds beim Nationalfonds. Nach Ablauf der Antragsfrist (§ 29 EntschädigungsfondsG) veröffentlicht die Schiedsinstanz sie in einer eigenen Publikation. Die Veröffentlichung erfolgt in anonymisierter Form, es sei denn, der Antragsteller stimmt der Namensnennung zu.

III. Abschnitt - Willensbildung und Entscheidung

§ 9 Entscheidungen

(1) Die Schiedsinstanz trifft ihre Entscheidungen durch Beschluss (Empfehlungen, Ablehnungen, Zurückweisungen mangels Zuständigkeit und Überweisungen sowie weitere verfahrensleitende Verfügungen soweit sie nicht vom Vorsitzenden gemäß § 14 getroffen werden).
(2) Entscheidungen sind den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu bringen.

§ 10 Willensbildung innerhalb der Schiedsinstanz

(1) Beschlüsse werden in Sitzungen oder, wenn Einvernehmen darüber besteht, als Umlaufbeschlüsse gefasst.
(2) Für einen Sitzungsbeschluss ist die Anwesenheit aller Mitglieder erforderlich
(3) Die Schiedsinstanz fasst ihre Beschlüsse, sofern im EntschädigungsfondsG oder in dieser Geschäfts- und Verfahrensordnung nicht ausdrücklich Einstimmigkeit vorgesehen ist, mit einfacher Mehrheit. Eine Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Eine Abgabe von Sondervoten ist nicht vorgesehen.

IV. Abschnitt - Interne Organisation

§ 11 Sekretariat

Das Sekretariat der Schiedsinstanz sind der Generalsekretär und der Geschäftsapparat des Allgemeinen Entschädigungsfonds.

§ 12 Allgemeine Verschwiegenheitspflicht

Alle Personen, die in irgendeiner Form an dem Verfahren oder einzelnen Verfahrensabschnitten mitwirken oder mitgewirkt haben, sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.

§ 13 Sitzungen

Sitzungen der Schiedsinstanz sind interne Zusammenkünfte der Mitglieder und Verhandlungen. Die Sitzungen der Schiedsinstanz dienen der Entscheidungsvorbereitung und der Entscheidung. Sie sind nicht öffentlich. Über die internen Zusammenkünfte ist ein Protokoll anzufertigen. Die Protokollführung erfolgt durch ein an der Sitzung teilnehmendes Mitglied des Sekretariats.

§ 14 Aufgaben des Vorsitzenden

(1) Der Vorsitzende leitet die Sitzungen der Schiedsinstanz. Er hat sie anzuberaumen und die Mitglieder dazu innerhalb angemessener Frist unter Angabe von Zeit und Ort sowie einer vorläufigen Tagesordnung einzuladen.
(2) Jedes Mitglied kann eine Ergänzung der Tagesordnung verlangen. Bei Verhandlungen muss eine rechtzeitige Verständigung der Verfahrensbeteiligten gewährleistet sein.
(3) Dem Vorsitzenden obliegt in Zusammenarbeit mit dem Sekretariat die aktenmäßige Vorbereitung der Sitzungs- und Verhandlungsunterlagen. Bei Behandlung von Anträgen fungiert er als Berichterstatter.
(4) Die Einladung der Verfahrensbeteiligten, Zeugen und Auskunftspersonen obliegt dem Vorsitzenden.
(5) Der Vorsitzende holt Auskünfte von Behörden und anderen öffentlichen Einrichtungen ein, die zur Erfüllung der Aufgaben der Schiedsinstanz erforderlich sind.

V. Abschnitt - Verfahren

§ 15 Vertretung

Antragsberechtigte Personen und Vereinigungen können sich von Personen ihres Vertrauens unter Vorlage einer beruflichen oder einer beglaubigten Vollmacht vertreten lassen.

§ 16 Einleitung des Verfahrens

(1) Mit Eingang eines Antrags beim Sekretariat ist das Verfahren eingeleitet. Für die Wahrung der Frist nach § 29 EntschädigungsfondsG ist der Eingang des Antrags maßgeblich.
(2) Für den Beginn des Fristenlaufs im Sinne des § 33 EntschädigungsfondsG liegt ein Antrag vor, wenn das Begehren so präzisiert ist, dass die Schiedsinstanz eine Entscheidung in der Sache treffen kann.
(3) Die Schiedsinstanz wird den Antragsteller allenfalls zur Vervollständigung seines Antrags auffordern und ihn dabei unterstützen.

§16a Fristen

(1) Bis zum Ende der Antragsfrist gemäß § 29 EF-G eingegangene unvollständige Anträge, die Rückschlüsse auf den begehrten Vermögenswert und auf die Person des Antragstellers zulassen, werden berücksichtigt, wenn innerhalb von 24 Monaten ab Fristende sowohl der Gegenstand des Antrages als auch der Vor- und Zuname sowie die Adresse des Antragstellers mitgeteilt werden.
(2) In jenen Fällen, in denen Beweise vorliegen, dass das Antragsformular vor Ende der Antragsfrist abgeschickt wurde, oder dass der Antragsteller aus Krankheitsgründen tatsächlich daran gehindert war, den Antrag vor Ende der Antragsfrist abzuschicken, können Anträge ungeachtet der Regelung in § 16 (1) berücksichtigt werden, solange die Schiedsinstanz existiert.
(3) Antragsteller, an die aus erbrechtlichen Gründen lediglich Liegenschaftsanteile zurückgestellt werden können, können innerhalb von 6 Monaten nach der Zustellung der Entscheidung ihren Antrag auf weitere Rechtsnachfolger nach dem ursprünglichen Liegenschaftseigentümer ausweiten, sofern diese ihre Antragsberechtigung an den Antragsteller abgetreten haben.

§ 17 Verhandlungen

(1) Verhandlungen sind Sitzungen unter Beiziehung der Verfahrensbeteiligten.
(2) Die Teilnehmer an der Verhandlung sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.
(3) Über den Verlauf von Verhandlungen ist eine Niederschrift anzufertigen. Diese hat insbesondere zu enthalten:
1. Ort, Zeit und Gegenstand der Verhandlung und, wenn schon frühere darauf bezügliche Sitzungen vorliegen, gegebenenfalls eine kurze Darstellung des Standes der Sache
2. Namen der daran teilnehmenden Personen
3. allfällige schriftliche Vorträge des Berichterstatters sowie der Verfahrensbeteiligten als Beilagen
4. die zum Beschlusszeitpunkt aufrechterhaltenen Anträge der Verfahrensbeteiligten
5. alle gefassten Beschlüsse im vollen Wortlaut
6. die Unterschrift des Vorsitzenden sowie des Schriftführers
(4) Die Niederschrift ist den Mitgliedern zur Einsicht vorzulegen und sodann den Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu bringen. Einwände gegen die Niederschrift sind unverzüglich, jedoch spätestens innerhalb einer Woche nach Zusendung der Niederschrift schriftlich an das Sekretariat zu richten, ansonsten gilt die Niederschrift als genehmigt.
(5) Die Erstellung der Niederschrift erfolgt durch ein an der Verhandlung teilnehmendes Mitglied des Sekretariats.

VI. Beweise und Beweismittel

§ 18 Freie Beweiswürdigung

Die Schiedsinstanz entscheidet aufgrund freier Beweiswürdigung.

§ 19 Verfolgungsbeweis

(1) Der Antragsteller hat die Umstände der Verfolgung im Sinne des § 27 Abs. 1 EntschädigungsfondsG substantiiert glaubhaft zu machen. Die Schiedsinstanz wird dabei auf die bekannten historischen Umstände und Zusammenhänge Bedacht nehmen. Gleiches gilt für den Nachweis des Zusammenhanges zwischen Verfolgung und Verlusten oder Schäden.
(2) Als Beweismittel kommen insbesondere in Betracht: Personenstandsdokumente (Geburtsurkunden, Heiratsurkunden, etc.), Grundbuchsauszüge, Urteile und behördliche Verfügungen, Unterlagen bezüglich früherer Entschädigungen, Zeugenaussagen und Aussagen von Verfahrensbeteiligten, Verzeichnisse der Vermögensverkehrsstelle, Dokumente (Kaufverträge, etc.), Korrespondenz, Fotos, sonstige Dokumente.

§ 20 Beweis der Erbenstellung

(1) Antragsteller, die Erben von antragsberechtigten Personen sind, haben ihre Erbenstellung zu beweisen.
(2) Als Beweismittel kommen insbesondere in Betracht: Personenstandsdokumente (Geburtsurkunden, Heiratsurkunden, etc.), Testamente und Erbverträge über die gesamte Erbfolge, Erbausweise (Einantwortungsurkunden, Erbscheine, Probate, etc.), Ehepakte, sonstige Dokumente.

§ 21 Weitere Beweisgegenstände

(1) Im Falle des § 28 Abs. 1, Ziffer 2, 1. Satz EntschädigungsfondsG hat der Antragsteller zu erklären, dass die Sache, deren Rückstellung begehrt wird, niemals Gegenstand einer Forderung war, die bereits zuvor durch österreichische Gerichte oder Verwaltungsbehörden entschieden oder einvernehmlich geregelt wurde, und für die er oder ein Verwandter nicht auf eine andere Weise eine Entschädigung oder sonstige Gegenleistung erhalten hat.
(2) War der Vermögenswert Gegenstand einer Forderung im Sinne des § 28 Abs. 1, Ziffer 2, 2. Satz EntschädigungsfondsG und wurde der Antrag aus Mangel an Beweisen abgelehnt, hat der Antragsteller die in der Zwischenzeit zugänglich gewordenen Beweise vorzulegen.
(3) Beruft sich der Antragsteller darauf, dass eine Entscheidung oder eine einvernehmliche Regelung eine extreme Ungerechtigkeit dargestellt hat, hat er diese zu begründen und Umstände darzutun, die auf eine solche hinweisen.
(4) Der Antragsteller hat zu erklären, dass sich der Vermögenswert am 17. Jänner 2001 ausschließlich und unmittelbar im Eigentum des Bundes oder einer, unmittelbar oder mittelbar, im Alleineigentum des Bundes stehenden juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts befand. An der Feststellung, ob sich der Vermögenswert im öffentlichen Vermögen befindet, wirkt der Bund mit.

§ 21a Neue Beweismittel

(1) Bei Vorlage neuer Beweismittel, die den Beteiligten bisher nicht zugänglich waren, kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, durch die Schiedsinstanz wieder aufgenommen werden, sofern diese Beweismittel die Annahme rechtfertigen, dass deren Vorlage im bisherigen Verfahren ein anderes Ergebnis hätte bewirken können. Die Schiedsinstanz hat die Beteiligten über das wiederaufgenommene Verfahren zu verständigen und ihnen eine Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen.

(2) Nach Ablauf von zwei Jahren nach Erlassung der Entscheidung kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden.

(3) Für alle bereits entschiedenen Anträge auf Naturalrestitution beginnt die Frist gemäß Abs. 2 mit der Veröffentlichung dieser Änderung der Verfahrens- und Geschäftsordnung in der Wiener Zeitung zu laufen.

VII. Schlussbestimmungen

§ 22 Überweisung

Ist für die Behandlung eines Antrags, der vor dem 28. Mai 2003 einlangt, die Schiedsinstanz nicht zuständig, so kann der Antrag im Einvernehmen mit dem Antragskomitee und unter Bedachtnahme auf dessen Geschäfts- und Verfahrensordnung an das Antragskomitee überwiesen werden.

§ 23 Verfahrenskosten

Ein Ersatz von Verfahrenskosten findet nicht statt.

§ 24 Verfahrenssprachen

(1) Die Verfahrenssprachen sind Deutsch und Englisch. Bei Verhandlungen der Schiedsinstanz wird bei Bedarf ein Dolmetscher beigezogen.
(2) Von nicht in den Verfahrenssprachen abgefassten Dokumenten sind beglaubigte Übersetzungen vorzulegen.

§ 25 Änderungen der Geschäfts- und Verfahrensordnung

Änderungen der Geschäfts- und Verfahrensordnung erfolgen einstimmig.

§ 26 Länder und Gemeinden

Wenn und insoweit Länder oder Gemeinden Naturalrestitution von öffentlichem Vermögen gemäß § 38 EntschädigungsfondsG vorsehen, finden die Bestimmungen dieser Geschäfts- und Verfahrensordnung sinngemäß Anwendung.

§ 27 Personenbezogene Ausdrücke

Die in dieser Geschäfts- und Verfahrensordnung verwendeten personenbezogenen Ausdrücke betreffen, soweit dies inhaltlich in Betracht kommt, Frauen und Männer gleichermaßen.